+3 Magazin Februar 2019 | Page 10

+1 10 › Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende Deutscher Philologen- verband (DPhV) INVESTIEREN IN DIE ZUKUNFT Die öffentlichen Bildungsausgaben steigen stetig In Milliarden Euro; 2012-2017 = vorläufige Angabe, 2018 = geplanter Betrag 125 100 Alter Auftrag, neue Medien Schulische Bildungsangebote sind immer schon Bildungsmedienange- bote. Das gilt für die bildende Ausei- nandersetzung mit dem ausgewähl- ten literarischen Medium Buch oder mit dem ausgewählten naturwissen- schaftlichen Experiment ebenso wie mit dem über Skype, Beamer und Laptop vermittelten fremdsprachigen Dialog mit einer Partnerschaftsklas- se im Ausland. Für das Gymnasium ist es ein besonders anspruchsvol- ler Auftrag, zum Beispiel die durch Digitalisierung veränderten neuen wissenschaftlichen Recherchemög- lichkeiten und interdisziplinären Kooperationsnotwendigkeiten in die Vermittlung von Fachwissen und Forschungsmethoden aufzunehmen. Denn ausgewiesener Bildungsauf- trag der Gymnasien ist die Vermitt- lung von Wissenschaftspropädeutik, allgemeiner Studierfähigkeit und vertiefter Allgemeinbildung. Dazu ist eine adäquate Aus- und Fortbildung Udo Goldstein, Leser Bedingungen ändern sich Die Metapher Schule sollte für kind- liche Bildung auf höchstem Niveau stehen. Wobei unterschieden werden muss zwischen Gebäuden und deren sachgerechten Ausstattung und dem eigentlichen Bildungsauftrag. In Zei- ten immer heterogenerer Klassenzu- sammensetzungen durch unterschied- liche Milieus ist es essenziell, dass einerseits angehende Lehrer schon im Studium auf die Vielfalt und damit auf die andersartigen kulturellen und sozialen Anforderungen vorbereitet werden, andererseits die bereits täti- gen Lehrpersonen die Möglichkeiten der adäquaten Weiterbildung erhal- ten. Wobei die richtige Klassengröße eine nicht zu unterschätzende Rol- le spielt. Denn nur dann haben die Lehrkräfte die Möglichkeit, auf die einzelnen Kinder sachlich wie emo- tional angemessen einzugehen. Dazu gehört auch, dass je nach Schulform, auch gegebenenfalls Sozialarbeiter in die schulische Arbeit integriert wer- den müssen, um die Lehrkräfte zu entlasten. Die vielbeschworene digi- tale Bildung kann erst dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn die hier ge- nannten Basics bundesweit einheit- lich vorhanden sind. Denn nur dann werden die Kinder eine sowohl schu- lische wie emotionale Bildung erhal- ten, die es ihnen ermöglichen, einen Schulabschluss und gleichzeitig einen angemessenen gesellschaftlichen Platz zu erreichen und damit die Grundla- 75 75,9 79,3 81,6 84,9 85,7 85,8 86,7 89,2 93,7 92,4 106,2 99,9 110 112,2 117 24 121,6 1 128,4 133,4 139,2 50 25 Jahr 1995 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Quellen: Statistisches Bundesamt, Statista der Lehrkräfte sowie eine Ausstat- tung der Schulen mit professioneller Wartung der digitalen Infrastruktur nötig. Die Gymnasien sind höchst unterschiedlich ausgestattet. Hier liegt die Herausforderung: Die Lan- despolitiker müssen sich kontinuier- lich ihrer inhaltlichen und monetä- ren Verantwortung für die Schulen stellen, dazu die Anschubfinanzie- rung des Bundes nutzen und mit den Schulträgern das kommunale Ver- teilungsproblem für eine hoch- und gleichwertige Ausstattung der Schu- len für jeden Schüler in jeder Ecke ihres Landes lösen. gen für eine Gesellschaft geschaffen werden, in der sich jeder Mensch an- erkannt und aufgehoben fühlt. Jörg Mehlhorn, Leser Wunschzettel „Schule“ Im Prinzip noch so wie vor 50 Jahren. Deshalb wünsche ich mir eine Schule, in der: • das Kind im Mittelpunkt steht und nicht der 45-Minuten-Takt, • die vier K in allen Fächern verankert sind, also Kreatives Denken, Kritisches Denken, Kollaboration, Kommunikation, • die Lehrkräfte gesellschaftlich hoch angesehen sind, • die Lehrer wissen, wie Lernprozesse im Gehirn ablaufen, • die Lehrer viel kleinere Klassen haben und weniger Stoff, • die Lerninhalte altersgerecht vermittelt werden, • der Schulbeginn und der Medien- einsatz altersabhängig sind, • die Lernschwachen besonders gefördert werden, • die Schulgebäude nicht wie Kasernen aussehen, • Sportflächen, Bühnen und Schulgärten normal sind, • die Toiletten so sauber sind wie in den Rathäusern • und der Staat sich aus den Lern- inhalten raushält, den Pädagogen vertraut und endlich seiner Pflicht nachkommt, die in Artikel zwei des Grundgesetzes seit 70 Jahren for- muliert ist: die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu gewährleisten. Ingo Leipner, Wirtschaftsjournalist und Autor Zurück in die Realität Es gibt keine digitale Bildung. Ge- rade in Kindergarten und Grund- schule müssen Kinder reale Erfah- rungen machen. Das fördert ihre kognitive Entwicklung – und ist evo- lutionär so vorgesehen. Es geht um die sensomotorische Integration: Erst Reiner Scholz, Leser Kopf frei fürs Lehren Da meine Frau Lehrerin ist, bekom- me ich den Schultag zwar nicht direkt, aber unmittelbar aus Lehrersicht mit. Das Unterrichten ist nach wie vor das Schönste, Anstrengendste aber auch Sinnvollste am Lehrerberuf. Natür- lich gibt es auch Konflikte mit Schü- lern, aber bis auf wenige Ausnahmen sind die Schüler nett und geben sich Mühe. Im Kollegium herrscht ein gro- ßer Zusammenhalt und man hilft sich gegenseitig. Das größte Ärgernis am Lehrerberuf ist allerdings der admi- nistrative Rattenschwanz, der immer länger wird und immer mehr Zeit für den Kontakt mit Schülern und Kapa- zitäten für die Unterrichtsvorberei- tung frisst. Jede Kleinigkeit muss auf- wendig dokumentiert werden und die Schüler werden doppelt und dreifach beurteilt. Rundschreiben, Anweisun- gen und E-Mails mit mehr oder min- der wichtigem Inhalt verstopfen den Posteingang und den Kopf. Horst Maier, Leser Veraltete Realität Unsere Schulen sehen noch immer so aus wie vor Jahrzehnten – leider. Ein Beispiel ist hier ein fortwährender und stets aktueller Vorwurf, der oft auch von Schülern selbst formuliert wird: dass in den Schulen viele Dinge nicht gelehrt werden, die für das Le- ben wichtig sind. Also lieber noch ein Jahr Kurvendiskussionen pauken, das aktive Zusammenspiel von Sinne- serfahrungen und körperlicher Betä- tigung schafft die nötige Grundlage, damit sich Kinder geistig entwickeln. Sitzen sie lange Zeit vor Bildschirmen, reduziert sich die Zahl der Sinnesein- drücke; am Ende bleiben visuelle und akustische Reize übrig. Die Kinder „erstarren“ in ihren Bewegungen, weil sie wie gebannt auf den Bildschirm blicken. Das Gegenargument: Es geht beides, analoges und virtuelles Leben. Nein! Die hohe Nutzungszeit bei Kin- dern zeigt: Virtuelle Erfahrungen ver- drängen zunehmend das reale Leben. Und weiterführende Schulen? Da ist eine aktive statt passive Medienarbeit gefragt. Passiv bedeutet: Scheinbar individualisierte Lernprogramme zer- stören das klassenöffentliche Lernen und werden zum Datenstaubsauger für kommerzielle Anbieter. Statt indi- vidueller Förderung durch Menschen droht eine Atomisierung sozialer Be- züge durch Algorithmen. Aktiv heißt: Medienmündigkeit entwickeln. Indem Schüler die Vielfalt digitaler Techno- logie beherrschen lernen, um selbst Medienprodukte zu erstellen. Voraus- setzung dafür: kritisches Denken und Reflexionsfähigkeit, die man laut dem Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget etwa ab dem 12. bis 14. Le- bensjahr erwarten kann. statt das Finanz- und Steuersystem zu erarbeiten. Lieber die Kinder mit Detailunterricht über einzelne Teile des menschlichen Körpers langwei- len, als den kompletten Zusammen- hang von Körper, Geist, Ernährung und Schlaf zu thematisieren. Es scheint fast so, als könnte es zu an- schaulich werden, wenn man die Lebensrealität der Schüler berück- sichtigt. Was soll dieses Zerstückeln und Separieren von Wissen, um es in unterschiedlichen Fächern klein- teilig zu lehren? Die Schüler dürfen dann im „richtigen Leben“ schauen, wie sie das Schulwissen miteinander verknüpfen. Gleichzeitig liest man immer mal von engagierten Lehrern, die dafür ausgezeichnet werden, dass sie es doch irgendwie schaffen, ein fächerübergreifendes Projekt in die Vorgaben der veralteten Lehrpläne zu pressen. Diese Lehrer haben mei- ne Hochachtung!