+3 Magazin Dezember 2021 | Page 21

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DIE MILCH SCHMECKT , WIE DIE KUH GENIESST

Gerlinde Mock , Milch-Sommelière
„ Ich finde , dass wir Genuss täglich erfahren sollten und diese Momente für unsere Lebensqualität sehr wichtig sind “, sagt Gerlinde Mock , Genuss-Expertin aus der Steiermark und erste Milch-Sommelière Österreichs . Das „ weiße Wunder “, das aufgrund der hohen Nährstoffdichte genau genommen als Nahrungsmittel definiert wird und nicht als Getränk , könne einem in seiner Vielfalt genau diesen täglichen Genuss bieten – vorausgesetzt , man nimmt sich die nötige Zeit dafür . Ein Gespräch über Genuss-Kategorien , glückliche Kühe und die Reise vom Gras ins Glas .
Hierzulande zählt sie für 90 Prozent der Menschen selbstverständlich dazu – aber wird die Milch als Genussprodukt unterschätzt ?
Tatsächlich gilt die Milch in den meisten Köpfen nicht direkt als Genussprodukt . Denn Milch trinkt man ja eher selten pur . Doch ich stelle ein immer größer werdendes Interesse fest . Die Konsumenten möchten genau wissen , welche Milch beispielsweise im Restaurant verwendet wird . Und sie ist schließlich auch ein Kulturgut , das seit Tausenden von Jahren im Einsatz ist . Kein Wunder : Schauen wir uns die natürliche Nährstoffzusammensetzung an , entdecken wir über 2.000 wertvolle Inhaltsstoffe . Das ist einfach einzigartig – weshalb die Milch es auch verdient , pur getrunken und als Genussprodukt angesehen zu werden .
Mit welchen Adjektiven und Kategorien gelingt es Ihnen , diesen Genuss zu beschreiben ?
Sensorisch lässt sie sich nach demselben Schema wie Wein , Bier oder Fruchtsaft bewerten . Dabei gibt es die Komponenten Optik , Geschmack , Geruch , Haptik und Abgang . Optisch ist sie etwa weiß , cremefarben , elfenbeinfarben – je nachdem , was die Kuh fressen darf . Bekommt sie Gras , ist Betacarotin enthalten und die Farbe geht ins Strohgelbe . Die Viskosität hängt von der Fettkonzentration ab , das ist Jahreszeit-spezifisch . Wenn der Fettgehalt der Milch nicht rausgefiltert wird oder die Milch nicht homogenisiert ist , sieht man einen schönen Rahmrand . Beim Verkosten – das mache ich mit einem Weinglas – präsentiert sich zunächst der Duft ausgiebig . Der kann blumig sein , aber auch grasig oder fruchtig . Sobald ich einen Schluck im Mund habe , erkenne ich , ob die Milch cremig oder gaumenumschleichend , eher schlank oder eher körperreich ist .
Das Zusammenspiel von Nase und Gaumen ist entscheidend ?
Tatsächlich werden alle Sinne angeregt . Besonders spannend : Nur etwa 20 Prozent aller Aromen schmeckt man über die Zunge – 80 Prozent der Aromen nehmen wir über die Nase wahr . Zunächst sehen wir natürlich die Milch : An der Farbe kann man erkennen , ob sie homogenisiert ist . Der Hörsinn wird hingegen nur sehr fein angeregt , etwa , wenn Sahne schaumig geschlagen wurde und wir ein leises Knistern vernehmen . Beim Geruch steigen uns viele Duftaromen in die Nase , die unser Gehirn sofort mit Gefühlen assoziiert . Am Gaumen fühlt sich jede Milch anders an . Das hat natürlich mit dem Fettgehalt zu tun , mit den Inhaltsstoffen , der Temperatur , mit dem Glas , in dem sie sich befindet . Die Textur hat einen großen Einfluss auf Geschmack und Mundgefühl . Und beim Geschmack fragen wir uns schlussendlich , welchen Abgang die Milch bei uns hinterlässt . Das ist eine richtige Reise !
Eine Reise , die auf eine noch längere Reise folgt : Wie genau entsteht der Geschmack der Milch ?
Selbstverständlich spielen die Rahmenbedingungen eine große Rolle bei Geschmack , Textur und Geruch der Milch . Ich finde es immer wieder faszinierend , wie aus einem einfachen Büschel Gras Milch entsteht . Die beste Voraussetzung ist eine gesunde Kuh , die artgerecht gehalten und ausreichend gefüttert wird . Die Zusammensetzung der natürlichen Inhaltsstoffe ist dabei auch sehr von den Jahreszeiten abhängig . Zudem ist bei einer Milch am Ende gut nachvollziehbar , mit was die Kuh gefüttert wurde – etwa beim Gehalt der wichtigen Omega-3-Fettsäuren . Ein riesengroßer Punkt neben der Fütterung ist auch das Umfeld der Kuh . Eine entspannte Atmosphäre , persönliche Zuwendungen und positive Emotionen der Kühe sind Teil der guten Qualität und lassen sich später auch in der Milch schmecken .
Können wir selbst unsere Sinne trainieren , um „ besser zu genießen “?
Das können wir , und der wichtigste Schlüssel dafür ist Zeit . Als Einstieg empfehle ich : Bevor Sie morgens die Milch in Ihren Kaffee gießen , schnuppern Sie an ihr , trinken Sie vielleicht einen kleinen Schluck pur . Was macht das mit Ihnen ? Noch ein Tipp : Ihr volles Aroma entfaltet Milch bei einer Temperatur von zehn bis zwölf Grad Celsius .
Mehr Informationen unter : initiative-milch . de