+3 Magazin Dezember 2019 | Page 20

+3 20 › Burkhard Wilke, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter, Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) Einfach unbezahlbar „Kinder muss man sich leisten kön- nen.“ Diesen Satz haben Sie bestimmt schon oft gehört. In der Regel folgt dann der „Kostensatz“. Rund 148.000 Euro kostet ein Kind nach Berechnun- gen des Statistischen Bundesamts bis zur Volljährigkeit. Darin sind Oppor- tunitätskosten etwa durch geringeres Einkommen wegen Teilzeitarbeit der Eltern nicht eingerechnet. Dem stehen etwa 50.000 Euro an Kindergeld in dieser Zeit gegenüber. Was macht Fa- milien stark? Die klare Antwort lautet: Alles, was die profane Kostenfrage in den Hintergrund drängt und unwich- tig macht. Die gelebte Überzeugung, dass Kinder unbezahlbar sind. Die Stärkung der Rechte und der Entloh- nung von Frauen, die noch immer den Großteil der Verantwortung für gelin- gendes Familienleben tragen. Das end- lich einmal eingelöste Vertrauen der Familien in eine gute, verlässliche öf- fentliche Schulbildung. Die Erhöhung der Freibeträge für familienbezogene Ausgaben und entsprechender Leis- tungen etwa in der Sozialversicherung. Die Wertschätzung und Unterstützung für generationsübergreifendes Zusam- menleben. Ich hörte den „Kostensatz“ zum ersten Mal, als wir unser drittes Kind erwarteten. Zum Glück haben wir ihn überhört. Denn sonst wären uns mit dem dann noch folgenden vierten und fünften Kind unschätzbare Freu- den, Lebensperspektiven und Kraft- quellen verborgen geblieben. Roswitha Sommer-Himmel, Leiterin Kompetenz- zentrum Pädagogik und Entwicklung in der Kindheit, Evangelische Hochschule Nürnberg Urlaub bei Omi und Opi Innerhalb der Familie nehmen Großel- tern eine besondere Rolle ein. Sie sind da, wenn man sie braucht, sie nehmen sich Zeit, stellen das Smartphone auf Standby. Gerade in unserer heutigen Leistungsgesellschaft, in denen junge Eltern multiplen Belastungen ausge- setzt sind, können Großeltern durch ihre Präsenz entlasten und die ganze Familie stärken. In Krisensituationen springen sie – sofern die Beziehung zwischen Eltern und Großeltern intakt ist – bereitwillig ein, stecken ihre eige- nen Bedürfnisse zurück und kommen auch mal für ein Wochenende ange- reist. Lebten vor hundert Jahren noch drei Generationen häufig unter einem Dach, ist heutzutage eine räumliche Distanz der Regelfall. Viele Eltern sind berufliche Nomaden, ihr Geburtsort ist nicht ihr Wohnort. Doch gerade diese WEICHEN STELLEN Dafür sollte sich Familienpolitik besonders einsetzen Mehr Unterstützung für berufstätige Eltern, wenn das Kind krank ist 67% Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder 60% Die Voraussetzungen für den Wiedereinstieg in den Beruf nach der Familienphase verbessern 59% Stärkere Berücksichtigung von Kindern bei der Steuer 57% Die Voraussetzungen für Eltern verbessern, dass beide Partner gleichermaßen berufstätig sein können 56% Für eine gute Hausaufgabenbetreuung an Grundschulen sorgen 54% Das Angebot an Kinderkrippen ausbauen 53% Väter unterstützen, die für die Kinderbetreuung beruflich kürzertreten wollen 49% Umfrage unter 1.457 Personen ab 16 Jahren, Mai 2017; Mehrfachnennungen möglich 75% 65% 60% 70% 58% 55% 56% 55% Bevölkerung insgesamt Eltern mit Kindern unter 18 Jahren Quellen: BMFSFJ, IfD Allensbach äußere Distanz zwischen den Generati- onen schafft innere Nähe. Nur wer sich bewusst abgrenzen kann, hat die Mög- lichkeit, sich bewusst zu nähern. Das Treffen mit den Großeltern stellt daher keine Alltäglichkeit dar, sondern ist et- was Besonderes. Und diese besondere Rolle, die meist frei vom Erziehungs- auftrag ist, spüren auch die Kinder. An- ders als die Eltern sind die Großeltern weniger rigoros, geben auch mal gerne eine Schokolade zu viel. Daher fühlt sich für Kinder ein Besuch bei den Großel- tern oft an wie Urlaub. Ein Ausbruch aus dem Alltag, rein in eine Welt, in der fast jeder Wunsch wahr wird. Aber auch diese Welt wäre nicht besonders, wenn sie dauerhaft begehbar wäre. Anzeige Eine Anzeige von ärzte ohne grenzen MEDIZINISCHE NOTHILFE FÜR FAMILIEN WELTWEIT „Gesundheit ist ein Menschenrecht“, sagt Luise Jähne. Damit Familien in Not medizinische Versorgung erhalten, leistet die Hebamme von ärzte ohne grenzen Hilfe – auch im Konfl iktgebiet. Gesundheitszentrum von ärzte ohne grenzen in der umkämpften Region Leer, Südsudan © Sarah Pierre/msf Kürzlich kehrte Luise Jähne von ihrem Einsatz mit ärzte ohne grenzen aus dem Südsudan zurück. Dort half die Hebamme Frauen, ihre Kinder gesund zur Welt zu bringen. „Nach Jahren der Kämpfe gibt es im Südsudan kaum intakte Krankenhäuser“, sagt Luise Jähne. „Unsere Patientinnen laufen sehr weite Wege zu uns. Ich erinnere mich zum Bei- spiel an Deborah Nyawich. Sie brauchte drei Stunden Fuß- marsch, bis sie unser Gesundheitszentrum erreichte. Das ist absolut nicht ideal, wenn du Schmerzen und Wehen hast“, so die Hebamme. „Deborah brauchte umgehend unsere medizinische Versor- gung. Auch ihr Baby mussten wir reanimieren, als es zur Welt kam. Doch einen Tag später konnten Mutter und Baby ge- sund unser Behandlungszelt verlassen. Wir waren alle sehr erleichtert, denn zu Hause warteten zwei weitere kleine Kinder auf Deborah. Unsere Arbeit rettet jeden Tag viele Leben – und verändert somit Schicksale von ganzen Familien. Es sind Momente wie dieser, weshalb ich diesen Job mache. Es sollte keine Rolle spielen, ob ich im Südsudan geboren werde oder in Deutschland“, so Jähne. In Notsituationen wie Kriegen oder Epidemien legt ärzte ohne grenzen spezielles Augenmerk auf die schwächsten Familienmitglieder wie Schwangere und Kleinkinder. Sie sind besonders gefährdet, weil ihr Immunsystem anfälliger ist. Wenn aufgrund der Not – wie aktuell im Südsudan – eine mangelhafte Ernährung hinzukommt, kann ihr Körper das schlechter kompensieren. Gesundheit darf nicht an Länder- grenzen oder am Zugang zu Konfl iktgebieten scheitern – das ist das Selbstverständnis von ärzte ohne grenzen. „In mehr als 440 Projekten in rund 70 Ländern sind unsere Teams weltweit aktiv“, sagt Barbara Gerold-Wolke, Leiterin der Spendenabteilung von ärzte ohne grenzen in Deutsch- land. „In Konfl iktgebieten wie im Südsudan ist es wichtig, dass wir unabhängig sind. Wir fragen unsere Patient*innen nicht nach politischer Überzeugung, ethnischer Herkunft oder Religionszugehörigkeit. Nur so können wir außerhalb des Konfl iktes stehen und Nothilfe leisten. Deshalb nehmen wir in Deutschland keine staatlichen Gelder an. Wir fi nan- zieren unsere Hilfe durch private Spender*innen. Jede Spende macht uns stark.“ Gesundheit für Familien weltweit: Sie können die medizinische Hilfe von ärzte ohne grenzen mit Ihrer Spende unterstützen. Mehr über die Arbeit unter: www.aerzte-ohne-grenzen.de Spenderservice-Telefon: 030 700 130 130 Die Hebamme Luise Jähne während ihres Einsatzes im Südsudan © msf Träger des Friedensnobelpreises