+3 Magazin Dezember 2018 | Page 14
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WIR FRAGEN:
WAS KANN DIE
TELEMEDIZIN?
... und was ist
Ihre Meinung?
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Durch eine schnellere, effizientere Patientenbehandlung sollen die welt-
weiten Gesundheitskosten dank der Telemedizin in den kommenden fünf
Jahren um 80 Milliarden US-Dollar sinken. Quelle: Unternehmensberatung Roland Berger
Ulrich Clever,
Präsident
Landesärztekammer
Baden-Württemberg
Im Heute ankommen
Seit jeher verbietet die ärztliche Be-
rufsordnung die ausschließliche Fern-
behandlung von Patienten mittels
Telemedizin. (Video-)Telefonie durfte
bislang nur mit Bestandspatienten er-
folgen. Den Vätern der Berufsordnung
ging es dabei nicht darum, die Ärzte-
schaft zu maßregeln, sondern um den
Schutz und die Sicherheit der Patien-
ten. Inzwischen ist diese restriktive
Regelung überholt, denn die Medizin
hat sich weiterentwickelt. Deshalb gibt
es heute die „ausschließliche ärztliche
Fernbehandlung“ schon vielerorts im
Ausland. Sie ist fester Bestandteil des
Gesundheitsmarkts und macht in Zei-
ten der uneingeschränkten Telefonie
und des weltumspannenden Internets
an Deutschlands Grenzen natürlich
nicht Halt. In Baden-Württemberg
haben wir daher schon 2016 einen
weitreichenden Beschluss getroffen:
Als erste und einzige Ärztekammer in
Deutschland öffneten wir unsere Be-
rufsordnung für die ausschließliche
Fernbehandlung im Rahmen von Mo-
dellprojekten. Inzwischen haben wir
sieben Modellprojekte genehmigt. Un-
ser Weg überzeugte im Mai 2018 auch
den Deutschen Ärztetag. Er empfahl
den übrigen Landesärztekammern, die
ausschließliche ärztliche Fernbehand-
lung auch in deren Berufsordnungen
aufzunehmen. Dies geschieht seither
sukzessive in den meisten Bundeslän-
dern. Ganz wichtig ist uns: Jeder darf,
aber keiner muss diese Form der Be-
handlung in Anspruch nehmen. Denn
digitale Techniken unterstützen die
Ärzte, ersetzen aber nicht die persön-
liche Zuwendung.
Friedrich Koehler,
Leiter Zentrum für
kardiovaskuläre
Telemedizin, Charité
– Universitätsmedizin
Berlin
Rundum besser betreut
Die Telemedizin hat für Diagnostik
und Therapie verschiedene Facetten.
Bei Patienten mit chronischer Herzin-
suffizienz etwa soll sie die ambulante
Therapie beim betreuenden Haus-
und Facharzt – insbesondere auch in
ländlichen Regionen – unterstützen,
um frühzeitig eine beginnende Ver-
schlechterung der Erkrankung zu
erkennen und entsprechend interve-
nieren zu können. Zum Betreuungs-
konzept zählen die tägliche Messung
und Übertragung verschiedener Vi-
talparameter wie Blutdruck und EKG
durch die Patienten an ein fachärztlich
und fachpflegerisch rund um die Uhr
© iStock./Lise Gagne
besetztes Telemedizinzentrum. Aber
auch eine strukturierte Patienten-
edukation und der enge Kontakt zwi-
schen den primär betreuenden Ärzten
und dem Telemedizinzentrum sind
wichtig für eine effektive Betreuung.
In einer international vielbeachteten
klinischen Studie konnten wir erstma-
lig nachweisen, dass Telemedizin bei
Hochrisikopatienten mit Herzschwä-
che zu einer Lebensverlängerung und
weniger
Krankenhausaufenthalten
führt – unabhängig davon, ob der Pa-
tient im strukturschwachen ländlichen
Raum oder in einer Metropolregion
lebt. Telemedizin ist damit auch geeig-
net, regionale Versorgungsunterschie-
de zwischen Stadt und Land zu kom-
pensieren und die Versorgungsqualität
insgesamt zu verbessern. Eine nächste
wichtige Aufgabe besteht nun darin,
ein Alltagsmodell zu entwickeln, damit
möglichst viele von den rund 200.000
betroffenen Patienten in Deutschland
davon profitieren können.