+3 Magazin Dezember 2018 | Page 12

+2 12 › Ina Goller, Professorin für Innovationsmanagement, Berner Fachhochschule Produktive Sicherheit Wozu brauchen Menschen überhaupt Sicherheit? Verrückterweise brauchen wir sie immer dann, wenn wir Neu- es wagen, kreativ und innovativ sein wollen oder komplexe Entscheidun- gen fällen müssen – also in unsicheren Situationen. Sei es im Operationssaal bei einer Herztransplantation, bei der Schaffung eines neuen Blockbusters oder bei der Leitung eines Unterneh- mens. Psychologische Sicherheit wird von Wissenschaftlern immer mehr als die eigentliche Grundlage für erfolg- reiche Teams entdeckt. Sie entsteht, wenn alle Teammitglieder das Gefühl haben, es ist sicher, ihre Meinung ein- zubringen, Fehler einzugestehen oder anzusprechen und um Hilfe zu bitten. Die anfängliche Skepsis gegenüber solchen soften Faktoren als Grundla- ge für Erfolg und das Belächeln von Wohlfühloasen im Arbeitsumfeld ver- schwindet meist, wenn Menschen di- rekt erleben, welche enorm positiven Auswirkungen psychologische Sicher- heit hat und wie hart Teammitglie- der miteinander diskutieren, um die beste Lösung zu finden, wenn sie sich sicher fühlen. Egal wo ich bin, ver- suche ich psychologische Sicherheit mitzugestalten. Mich begeistert, dass psychologische Sicherheit sehr gut und relativ schnell über Kommuni- GRENZERFAHRUNG Die psychischen Folgen eines Einbruchs „Der Schutz Ihrer Privatsphäre ist uns wichtig.“ Datenschutzerklärun- gen beginnen oft mit einer Lüge. Bei der Recherche zu meinem Buch erfuhr ich, dass mein Amazon-Click- stream des letzten Jahres 15.365 Einträge mit bis zu 50 zusätzlichen Angaben pro Klick umfasst. Laut Fa- cebook gehöre ich zur Werbegruppe „Stress“. Das Unternehmen weiß, wie es um die Psyche unserer Kinder bestellt ist. Google verfolgt, wo App- Nutzer letzte Nacht waren. Kran- kenkassen bieten Prämien, wenn wir Daten des Fitness-Trackers freige- ben. Diese Zukunft macht mir Angst. Wie konnte es nur so weit kommen, dass Konzerne mehr über uns wis- sen, als wir engsten Freunden an- vertrauen würden? Woher nehmen wir die Sicherheit, dass diese Daten nicht eines Tages gegen uns verwen- det werden? Unternehmen haben ein Interesse daran, uns glauben zu machen, das alles sei alternativlos. Dabei liegt es an uns zu entscheiden, welche Geschäftsmodelle uns scha- den. Für Google Maps und Whats- app gibt es gute Alternativen. Wer auf Bonusprogramme verzichtet, spart am Ende meist sogar Geld. Bei vielen Onlinediensten habe ich die Wahl. Das gilt aber nicht für staat- liche Datensammlungen. Egal ob Vorratsdatenspeicherung, Geheim- dienstüberwachung oder Staatstro- janer – autoritäre Parteien bekämen heute einen Überwachungsstaat auf dem Silbertablett serviert. Ich frage mich bei neuen Datensammlungen mittlerweile: Was würde eine AfD- Regierung damit anstellen? Sicher fühle ich mich dadurch nicht. was wenig verwundert. Denn laut Maslowscher Bedürfnispyramide folgt die „Sicherheit“ direkt auf die „körper- lichen Grundbedürfnisse.“ Sie ist uns wichtiger als die sozialen Bedürfnisse oder Anerkennung und Wertschät- zung. Doch während das Gefühl von Sicherheit den einen ruhig schlafen lässt, empfindet es der andere als Inbe- griff von Spießigkeit und Stagnation. Wo ständen wir heute ohne die vielen Menschen, deren Risikobereitschaft uns voranbringt, Lebensverhältnisse verbessert und Menschenleben rettet. Schon heute weiß ich: Am Ende werde ich eher das bereuen, was ich vor lauter Sicherheitsdenken nicht erlebt habe, als dass es mir vielleicht vergönnt war, in Sicherheit alt zu werden. im Internet, was man nicht bezahlen muss, auch umsonst ist. Man zahlt mit seinen Daten, die im besten Fall nur für kommerzielle Zwecke ver- kauft und ausgewertet werden. Im schlechtesten Fall werden sie krimi- nell genutzt. Der bewusste Umgang mit seinen persönlichen Daten sollte ganz selbstverständlich dazugehören, wenn man im Netz unterwegs ist. Das Sichersten wäre natürlich ein großer roter Knopf, auf dem steht: „Mei- ne Daten Löschen“. Ein adäquates Mittel ist auch, einfach irgendeinen Quatsch einzugeben, wenn man nach seiner Adresse oder anderen Daten gefragt wird. Beispielsweise wäre die Google-Zentrale ein idealer Ort, um ungewollte Werbepost loszuwerden. 24,5% Angstgefühle 34% Schock 32,7% Nach einem Monat noch Unsicherheitsgefühl in der eigenen Wohnung Umfrage unter 11.500 Einbruchsopfern, 2011; Mehrfachnennungen möglich 20,3% Auszug aus der Wohnung 17,7% Schlafstörungen 10,7% Opfer wäre am liebsten ausgezogen 6,4% Bis heute Unsicherheitsgefühl in der eigenen Wohnung 14,7% Sonstiges 24,1% Keine Folgen Quellen: KFN, Statista Stefan Lorenz, Leser Sebastian Linde, Leser Akzeptierte Regeln Eigentlich sicher Der Begriff der Sicherheit ist sehr subjektiv und in der Tat eher als eine Abwesenheit von Gefahr, insbeson- dere dem subjektiven Gefühl von Ge- fahr, zu verstehen. Daraus ergeben sich gleich mehrere Möglichkeiten, um als Individuum und als Gemein- schaft mehr Sicherheit zu verspüren. Als Einzelperson kann man direkt mit dem eigenen Verständnis von Sicher- heit beginnen und hier überprüfen, inwieweit man eine komplette Absi- cherung benötigt, um sich sicher zu fühlen. Grundsätzlich sollte man sich auch damit abfinden, dass es die ab- solute Sicherheit nie geben kann. Ein wichtiger Faktor für das individuelle Sicherheitsempfinden ist zudem das Gefühl der Absicherung innerhalb einer Gemeinschaft. Gibt es hier ein- heitliche Regeln, die das Individuum innerhalb einer Gemeinschaft schüt- zen und von allen Mitgliedern res- pektiert und berücksichtigt werden, so zahlt dies direkt in das Sicherheits- empfinden der Einzelpersonen ein. Daher ist der regelkonforme Umgang miteinander die beste Grundlage für ein sicheres Gefühl. Um ehrlich zu sein, fühle ich mich sehr sicher in diesem Land. Klar bekomme ich viel Spam und habe manchmal Bedenken, auf einen Link zu klicken, danach erpresst zu wer- den und mit Bitcoins meine Daten freizukaufen, doch ist es im Großen und Ganzen und nach meinem Ver- ständnis extrem sicher in Deutsch- land. Unser Sicherheitsverständnis mündet eher in Bauverzögerungen von gefühlt zehn Jahren, wenn es um Brandschutz geht. Aber: Safety first! Dennis Wachowski, Leser Sicherheit gewinnen Das beste Rezept für mehr Sicherheit ist Erfolg und das gilt für jedes Alter. Dafür ist es nie zu früh – und vor allem nie zu spät. Am Anfang steht immer das Machen. Wer nichts anfängt, kann auch nichts erfolgreich zu Ende bringen. Da müssen Sie mal drauf achten: Unsi- chere Personen sind meist die, die be- sonders wenig selbst machen. Letztlich geht es darum, irgendwann mal was zu wagen. Mit Erfolg wird die nächste Hürde kleiner, man traut sich immer mehr und gewinnt an Sicherheit. kationsmuster trainiert werden kann. Achten Sie mal darauf, dass jeder im Team gleich häufig zu Wort kommt – also nicht nur die üblichen Verdäch- tigen reden. Das ist ein guter erster Schritt und jeder kann ihn umsetzen, noch heute. Warum also bis morgen warten? Katharina Nocun, Autorin und Bürgerrechtlerin Nur in Freiheit Friedrich Schönhoff, Leser Warum nicht wagen Als ich mich mit der Frage beschäftig- te, kam ich immer mehr zu der Gegen- frage: Will ich mehr Sicherheit? Somit verfehlt dieser Beitrag vielleicht das Thema, erweitert aber auch den The- menkomplex. Im Internet las ich ein Interview mit Antje Steinhäuser, einer der Autorinnen des Buches „Wir. Al- les was man über uns Deutsche wis- sen muss“. Sie wurde gefragt, was als typisch deutsch gelte. Sie antwortete: „Bestimmte Klischees wie die Zuver- lässigkeit, das Sicherheitsdenken – das ist schon eindeutig deutsch. Auf der anderen Seite zählen junge Deutsche zu den Unerschrockensten. Sie fah- ren zwei Monate mit dem Fahrrad durch Indien. Das würde man nicht als typisch deutsch betrachten.“ Wäh- rend ich das las, blinkten mich stän- dig Werbebanner von Lebens- und Haftpflichtversicherungen an. Unser Sicherheitsbedürfnis scheint also für viele auch ein gutes Geschäft zu sein, Mario Berger, Leser Ihr Name, Leserin Schütz deine Daten Wenn man Sicherheit im Internet haben will, ist am wichtigsten, dass man bewusst mit seinen Daten um- geht und nicht überall seine Spuren hinterlässt. Man sollte sich freima- chen von dem Gedanken, dass alles Was ist Ihre Meinung? Schreiben Sie uns Ihre Antwort.