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WAS GIBT UNS MEHR
SICHERHEIT?
WIR FRAGEN:
... und was ist
Ihre Meinung?
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Allein in der Londoner U-Bahn hängen rund 15.000
Überwachungskameras – mehr als drei Mal so viele
wie an allen deutschen Bahnhöfen zusammen.
Quellen: Deutsche Bahn, London Underground
Julia Berkic,
Bindungsforscherin
Innerer Kompass
Warum sind manche Menschen sich
und dem Leben gegenüber positiver
eingestellt und tragen scheinbar mehr
Sicherheit in sich als andere? Was die
einen besitzen und anderen fehlt, ha-
ben Bindungsforscher in den letzten
Jahrzehnten ausgiebig erforscht und
herausgefunden: Die Substanz der
psychischen Sicherheit, die immer
auch Autonomie und Unabhängigkeit
einschließt, wird zu großen Teilen in
den ersten Lebensjahren gelegt. Al-
lerdings sind diese Zusammenhänge
nicht im Sinne einer unumkehrbaren
Prägung zu verstehen. Sie bedeuten
vielmehr Weichenstellungen, die eine
psychisch gesunde oder ungesunde
Entwicklung einleiten können, aber
ein Leben lang offen sind für Verän-
derungen. Richtig ist jedoch: Wer in
seiner Kindheit das Glück hatte, in
liebevollen und kontinuierlichen Be-
ziehungen zu lernen, seine eigenen
Gefühle wahrzunehmen, einzuordnen
und zu regulieren, der hat gute Chan-
cen, auch später im Leben tragfähige
Beziehungen einzugehen, sich Hilfe
bei Überforderung zu holen oder in
Krisenzeiten eine Art inneren Kom-
pass zu besitzen. Wer dieses Glück
nicht hatte, kann jedoch zu jedem
Zeitpunkt im Leben seine eigene Ge-
schichte ansehen und reflektieren –
alleine, mit einem Partner oder auch
mit einem Therapeuten. Denn durch
die Erkenntnis, was man eigentlich
gebraucht hätte als Kind, kann man
seine heutigen Bedürfnisse klarer se-
hen und bestenfalls nun erfüllen. Zu-
dem sinkt das Risiko, die Unsicherheit
an die eigenen Kinder weiterzugeben.
© iStock./MediaProduction
Werner Schönenkorb,
Leser
Widerstandsfähig
Jeder Mensch strebt nach Sicherheit
und möchte Anerkennung und Le-
benssinn erfahren. Unsere Wahrneh-
mungssysteme sind so ausgelegt, dass
wir permanent nach körperlicher und
psychischer Sicherheit streben. Falls
wir gefestigte positive Bindungser-
fahrungen in den ersten Lebensjah-
ren erfahren, dürfen wir uns glücklich
schätzen. Dies ist eine Energiequelle
für Selbstsicherheit. Ansonsten heißt
es: Ärmel hoch und ran an die Ent-
wicklung der eigenen Persönlichkeit,
was eine spannende Aufgabe sein
kann. Eine positive Grundeinstellung
und ein gesunder Umgang mit Stress
sind hilfreich. Ganz nach dem Motto:
„Kannst du an der Situation nichts
ändern, so ändere deine Einstellung
zu der Situation.“ Das Minimieren
von Stressoren wie sozialen Medien,
E-Mails und anderen Wegbeamerei-
Arien kann zu mehr psychischer Wi-
derstandskraft führen. Sehr spannend
finde ich die Erkenntnisse zu posttrau-
matischem Wachstum. Menschen, die
sich in großer psychischer Unsicher-
heit bewegten, zum Beispiel in existen-
ziellen Krisen, beziehen gerade daraus
neue Kräfte. Ich arbeite mit Führungs-
kräften, deren psychisches Sicherheits-
bedürfnis oftmals mangelhaft ist. Sie
versuchen – meist unbewusst – die-
sen Mangelzustand durch überhöhte
Macht- und Kontrollmechanismen
gegenüber ihren Mitarbeitenden aus-
zugleichen. Gleiches wird in Familien
von Eltern oder in der Schule gegen-
über Kindern praktiziert. Dies führt zu
Unsicherheit, Druck und mangelnder
Selbstsicherheit.