+3 Magazin Dezember 2018 | Page 10

+2 10 WAS GIBT UNS MEHR SICHERHEIT? WIR FRAGEN: ... und was ist Ihre Meinung? www.plus-drei.de [email protected] Allein in der Londoner U-Bahn hängen rund 15.000 Überwachungskameras – mehr als drei Mal so viele wie an allen deutschen Bahnhöfen zusammen. Quellen: Deutsche Bahn, London Underground Julia Berkic, Bindungsforscherin Innerer Kompass Warum sind manche Menschen sich und dem Leben gegenüber positiver eingestellt und tragen scheinbar mehr Sicherheit in sich als andere? Was die einen besitzen und anderen fehlt, ha- ben Bindungsforscher in den letzten Jahrzehnten ausgiebig erforscht und herausgefunden: Die Substanz der psychischen Sicherheit, die immer auch Autonomie und Unabhängigkeit einschließt, wird zu großen Teilen in den ersten Lebensjahren gelegt. Al- lerdings sind diese Zusammenhänge nicht im Sinne einer unumkehrbaren Prägung zu verstehen. Sie bedeuten vielmehr Weichenstellungen, die eine psychisch gesunde oder ungesunde Entwicklung einleiten können, aber ein Leben lang offen sind für Verän- derungen. Richtig ist jedoch: Wer in seiner Kindheit das Glück hatte, in liebevollen und kontinuierlichen Be- ziehungen zu lernen, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen, einzuordnen und zu regulieren, der hat gute Chan- cen, auch später im Leben tragfähige Beziehungen einzugehen, sich Hilfe bei Überforderung zu holen oder in Krisenzeiten eine Art inneren Kom- pass zu besitzen. Wer dieses Glück nicht hatte, kann jedoch zu jedem Zeitpunkt im Leben seine eigene Ge- schichte ansehen und reflektieren – alleine, mit einem Partner oder auch mit einem Therapeuten. Denn durch die Erkenntnis, was man eigentlich gebraucht hätte als Kind, kann man seine heutigen Bedürfnisse klarer se- hen und bestenfalls nun erfüllen. Zu- dem sinkt das Risiko, die Unsicherheit an die eigenen Kinder weiterzugeben. © iStock./MediaProduction Werner Schönenkorb, Leser Widerstandsfähig Jeder Mensch strebt nach Sicherheit und möchte Anerkennung und Le- benssinn erfahren. Unsere Wahrneh- mungssysteme sind so ausgelegt, dass wir permanent nach körperlicher und psychischer Sicherheit streben. Falls wir gefestigte positive Bindungser- fahrungen in den ersten Lebensjah- ren erfahren, dürfen wir uns glücklich schätzen. Dies ist eine Energiequelle für Selbstsicherheit. Ansonsten heißt es: Ärmel hoch und ran an die Ent- wicklung der eigenen Persönlichkeit, was eine spannende Aufgabe sein kann. Eine positive Grundeinstellung und ein gesunder Umgang mit Stress sind hilfreich. Ganz nach dem Motto: „Kannst du an der Situation nichts ändern, so ändere deine Einstellung zu der Situation.“ Das Minimieren von Stressoren wie sozialen Medien, E-Mails und anderen Wegbeamerei- Arien kann zu mehr psychischer Wi- derstandskraft führen. Sehr spannend finde ich die Erkenntnisse zu posttrau- matischem Wachstum. Menschen, die sich in großer psychischer Unsicher- heit bewegten, zum Beispiel in existen- ziellen Krisen, beziehen gerade daraus neue Kräfte. Ich arbeite mit Führungs- kräften, deren psychisches Sicherheits- bedürfnis oftmals mangelhaft ist. Sie versuchen – meist unbewusst – die- sen Mangelzustand durch überhöhte Macht- und Kontrollmechanismen gegenüber ihren Mitarbeitenden aus- zugleichen. Gleiches wird in Familien von Eltern oder in der Schule gegen- über Kindern praktiziert. Dies führt zu Unsicherheit, Druck und mangelnder Selbstsicherheit.