+3 Magazin Dezember 2017 no2 | Page 16
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WIR FRAGEN:
WIE WOLLEN WIR
LEBEN?
... und was ist
Ihre Meinung?
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Die Hälfte aller 24- bis 32-Jährigen würde eine
Viertagewoche einer Vollbeschäftigung vorziehen
– bei entsprechend niedrigerem Gehalt. Quelle: YouGov
© iStock./AleksandarNakic
Wladimir Kaminer,
Schriftsteller
Leben als Hobby
Ich möchte lernen, langsam zu leben,
über jede Kleinigkeit in Ruhe nach-
denken können. Ich möchte mein
Leben als Freizeitbeschäftigung, als
Hobby betrachten. Es wird in der Zu-
kunft sicher dazu kommen, dass jeg-
liche Arbeit von Maschinen erledigt
wird. Also müssen wir uns jetzt schon
auf ein Leben ohne Arbeit vorberei-
ten, auf die Suche nach einer sinnvol-
len Freizeitbeschäftigung begeben.
Angeblich sind wir durch die Arbeit
überhaupt Sapiens geworden. Und
was nun? Wir, Menschen des Jahres
2017, sind Versuchskaninchen für
die Zukunft. An uns wird getestet,
wie man dem Menschen die Angst
vor dem Nichtstun nimmt. Alle mo-
dernen Trends zielen darauf. Die me-
dizinische Forschung, die noch vor
Kurzem behauptete, man brauche
bloß sechs Stunden Schlaf, hat ihre
Meinung geändert. Überall ist nun
zu lesen: Je mehr wir schlafen umso
gesünder werden wir. Das gleiche ge-
schieht mit dem Essen: Slow Food
und selbst kochen sind angesagt. Wir
sollen lange frühstücken und lang-
sam kauen. Und nach dem Frühstück
Yoga treiben – eine Sportart, die man
endlos ausdehnen kann. Beim Medi-
tieren schaut niemand auf die Uhr.
Sollten wir doch vor Sonnenunter-
gang fertig meditiert haben, können
wir uns eine Serie anschauen. Serien
sind große Mode. Der wesentliche
Unterschied zu einem Film besteht
darin, dass die Serie nicht so schnell
aufhört. Und wenn die 48 Staffeln zu
Ende sind, ist das Leben schon fast
rum. Kinder, wie die Zeit vergeht.
Corinna Wolfien,
Leserin
Auf die Suche gehen
Die Frage ist Segen und Fluch zu-
gleich. Ich bin mir bewusst, was für
einen Luxus es bedeutet, mir diese
Frage stellen zu können. Oder sa-
gen wir, der Luxus liegt darin, dass
ich in ihrer Beantwortung in meiner
Lebenssituation ziemlich viel Hand-
lungsspielraum habe. Für mich ist es
eine existenziell wichtige Frage und
wenn ich weitergehen wollte, würde
ich sie als persönliches Menschen-
recht ansehen. Wie will ich leben?
In dieser Frage steckt schon ein Teil
meiner persönlichen Erkenntnis. Für
mich ist vor allem entscheidend, wie
ich etwas mache. Das „Was“ ist dabei
zweitrangig. Wie führe ich Gesprä-
che? Wie gestalte ich Begegnungen?
Ich habe mir in den vergangenen
zwei Jahren einige Träume erfüllt,
weil ich mich intensiv damit ausei-
nandergesetzt habe, wie ich leben
will. Diese kurze Frage kann sehr viel
Kraft entwickeln. Ich habe mich da-
für entschieden, viel zu reisen, und
bin momentan einige Monate in Süd-
amerika. Ich bin frei und unabhängig
und habe ein sehr stabiles Netzwerk
an guten Freunden. Dafür habe ich
keine Immobilie und arbeite selbst-
ständig, also nicht in der finanziellen
Sicherheit einer Anstellung. Aber ich
will genau so leben. Mir diese Frage
zu stellen und zu beantworten, heißt,
gleichzeitig auf viele andere Dinge zu
verzichten, die alternativ im Raum
schweben. Und es bedeutet für mich,
das zu finden, was zu mir passt. Wün-
sche sind das eine, aber was nützt es
einem Fisch, sein Glück in der Wüste
zu suchen?