+3 Magazin Dezember 2015 | Page 18

+3 18 WO BLEIBT DER GENUSS? WIR FRAGEN: ... und was ist Ihre Meinung? www.plus-drei.de [email protected] Das größte Holzfass der Welt fasst 1,7 Millionen Liter, enthält aber keine Flüssigkeit – sondern ein Restaurant. Quelle: Guinessbuch der Rekorde © Shepard Sherbell/Corbis Ralf Bos, Feinkostunternehmer und Fachbuchautor Verkauftes Gewissen Der Genuss bleibt innerhalb der ambitionierten Restaurants. Deutsche Gäste haben in fast 15 Jahren permanenter Berieselung omnipräsenter Kochshows gelernt, dass es durchaus gute und schmackhafte Lebensmittel gibt. Diese werden aber den Profiköchen überlassen und in diesen Kreisen gibt man auch gerne sein angelerntes Fachwissen zum Besten. „Der Aceto ist viel zu dünn, der ist bestimmt noch keine zwölf Jahre alt.“ Oder: „Ist der Steinbutt geangelt oder mit dem Schleppnetz gefischt? Was, aus der Zucht? Nein, so was esse ich nicht.“ Außerhalb des Restaurants sieht es da ganz anders aus. Es gibt bei uns quasi nur noch fünf Anbieter von Lebensmitteln. Zwei Discounter, zwei Supermarktketten und einen, der sich nicht so recht entscheiden kann. Diese fünf liefern 85 Prozent aller Lebensmittel. Gebildet hat sich dieses Monopol aufgrund eines Preiskampfes, der seit über 50 Jahren andauert. Und das sind nun mal die Gewinner. Tief in unserem Inneren wissen wir, dass billig und gut nicht zusammenpassen. Aber die penetrante Manipulation über Streichpreise und Sonderangebote haben sich so fest in unseren Gedanken etabliert, dass der Genuss nur noch in Form von 40 verschiedenen Artikeln im Einkaufswagen für zusammen gerade mal 50 Euro, zustande kommt. Man genießt die Menge und den günstigen Preis, und satt macht es ja auch. Der Genuss aller Sinne, der Geruch, der Geschmack, die Textur und das Aussehen bleiben da außen vor. Monika Menzel, Leserin Oxytocin statt Tatort Alles hat zwei Seiten, von denen aus man die Dinge betrachten kann. Das bekannte halbleere oder halbvolle Glas. Ein tiefsinniger, intellektueller Mann? Der kann doch nicht mal einen Witz erzählen! Was hat das mit Genießen zu tun? Es ist Abend und meine Kinder liegen im Ehebett rechts und links neben mir. Die Vorlesezeit ist gerade vorbei und es beginnt unser Einschlafritual. Wie jeden Abend vergräbt mein Sohn seine Hand in meinen Haaren, zieht an einer Strähne, die er sich um den Finger gewickelt hat. Meine Tochter greift mein Ohrläppchen und knub- belt sich so in den Schlaf. Das kann schon mal dauern. Ich könnte jetzt mit der Tagesschau etwas für meine Bildung tun. „Mein Abend ist mir heilig. Es ist der einzige Moment am Tag, an dem ich für mich Zeit habe.“ Ich habe auch lange so gedacht. Mittlerweile bin ich ganz in diesem Moment. Ich konzentriere mich mit allen Sinnen auf die Nähe zu meinen Kindern, auf die weichen Haarstoppeln meines Sohnes, den Geruch, das Schmatzen meiner Tochter. Ich mag es, zu hören, wie ihr Atem gleichmäßiger wird und die Kinder in den Schlaf gleiten. Wie der Griff sich vom Ohrläppchen und aus meinen Haaren löst. Den Beginn des Tatorts habe ich auch verpasst, reinschauen lohnt jetzt nicht mehr. Doch der Tatort läuft auch noch in zehn Jahren und die Tagesschau hole ich morgen früh im Auto mit der Presseschau nach. Die Zeit mit den Kindern ist kostbar. Oxytocin ist mein Rauschmittel.