+3 Magazin August 2020 | Page 8

8 +1 › Karsten Schwanke, Meteorologe und Fernsehmoderator Keine Alternativen mehr Vergessen wir einmal die Fahrt mit dem Fahrrad zur Arbeit, den Einkauf beim Bio-Bauern, die ökologisch vorbildliche Urlaubsfahrt mit der Bahn und den Vorsatz, weniger Fleisch zu essen. Dies ist alles richtig und wichtig und natürlich auch nachhaltig. Aber diese individuellen Maßnahmen lenken möglicherweise sogar ab vom eigentlichen Ziel, dem wir uns als Gesellschaft widmen müssen: den CO 2 -Ausstoß so schnell wie möglich zu verringern und noch deutlich vor 2038, dem Jahr des „offiziellen“ Kohleausstiegs, auf null zu bringen – und zwar nicht nur im Energiesektor. Der Dürresommer 2018, die Hitze 2019, die Wasserknappheit in einigen Dörfern 2020 – all das hat gezeigt, was auf uns in Deutschland in den nächsten Jahren zukommen wird. Wir werden wesentlich häufiger mit Dürreperioden rechnen müssen – die noch dramatischer werden – die Temperatur wird noch weiter ansteigen, die Land- und Forstwirtschaft vor riesige Probleme gestellt. Das, was uns die Klimakrise abverlangt, ist kein Spaziergang. Die Transformation unserer Gesellschaft von einer kohlenstoffbasierten zu einer kohlenstofffreien wird eine Menge Geld kosten, es wird auch nicht ohne Verzicht gehen, aber es gibt keine Alternative dazu. Das müssen wir endlich begreifen. Sollten wir das schaffen und damit die Erderwärmung auf maximal zwei Grad begrenzen, dann können wir wirklich von Nachhaltigkeit reden. Die Lösungen liegen dafür auf dem Tisch – seit Jahrzehnten. Gesund 39% der Befragten verzichten nicht auf Fleisch Einfache und schnelle Zubereitung artgerechte Tierhaltung faire Produktionsbedingungen Hinweis: ohne Gentechnik umweltverträgliche Erzeugung Hinweis auf vegetarische/vegane Produkte 1% Veganer Vegetarier WORAUF KOMMT‘S BEIM ESSEN AN? Geschmack Flexitarier 37% Gesundheit 41% Klima Kalorienarm WELCHE FREIWILLIGEN ANGABEN AUF LEBENSMITTELVERPACKUNGEN SIND DEN BEFRAGTEN SEHR WICHTIG ODER WICHTIG? WIE VIELE MENSCHEN ACHTEN BEIM EINKAUF AUF KENNZEICHNUNGEN? Siegel für nachhaltige Fischerei 47% Quelle: BMEL NACHHALTIGE ERNÄHRUNG Deutschland isst immer gesünder 52% 90% Tierwohllabel 48% Siegel „Fairer Handel“ 49% Bio-Siegel 50% WIE VIELE MENSCHEN VERZICHTEN GELEGENTLICH BEWUSST AUF FLEISCH ODER ESSEN GAR KEIN FLEISCH? 5% 98% 55% WARUM WERDEN VEGETARISCHE ODER VEGANE ALTERNATIVEN ZU TIERISCHEN PRODUKTEN GEKAUFT? Geschmack 43% 32% 48% 75% Tierwohl Neugier 33% Preis 84% 83% 78% 76% 41% Umfrage unter 1.000 Personen ab 14 Jahren, Dezember 2019-Januar 2020 Karsten Eiermann, Leser Annette Ahme, Leserin Ein Konto für alles Es gibt eine starke Tendenz, diese Frage individuell zu beantworten – gerade in der „westlichen“ Gesellschaft, die auf Entscheidungsfreiheit des Einzelnen großen Wert legt. Aber ist das auch sinnvoll? Die Welt kann nicht warten, bis alle Menschen durch Zauberhand ihr Leben individuell nachhaltig gestalten. Politik sollte immer die Schaffung von Rahmenbedingungen sein, die es dem Einzelnen nahelegen, ein gemeinwohlorientiertes Leben zu führen. Bisher sind wir daran gewöhnt, dass Geld eine Hauptrolle in unserem Leben spielt: Leben, Konsumieren, Vermögen aufbauen. Warum sollte unser ökologischer Fußabdruck nicht diese Rolle einnehmen können? Es wäre angemessen und zeitgemäß. Es wäre doch vorstellbar, dass die Weltgemeinschaft eine gerechte maximale Größe für den ökologischen Fußabdruck eines Menschenlebens festlegt. Alle Produkte erhalten automatische Kennzahlen für CO 2 und andere klimaschädliche Stoffe. Bei der Geburt erhält jeder Mensch eine Art Scheckkarte mit einem Lebenskonto aller klima- und umweltschädlichen Stoffe. Diese Scheckkarte kann für jeden Einzelnen zum schönen Hobby werden. Bei jedem Kauf, bei jedem Abonnement wird neben der Geldfunktion auch der ökologische Fußabdruck „heruntergerechnet“. Natürlich sollte man ein Spaß machendes Motivationsprogramm ergänzen – eine Leichtigkeit für heutige Software-Entwickler. Tiere sind nicht nur Kreaturen, sondern Lebewesen, deren Leben wir wie unser eigenes berücksichtigen müssen. › DIES IST EINE GESPONSERTE ANTWORT, ALSO EINE ANZEIGE Volker Schmidt-Sköries, Chef der Biobäckerei Kaiser SINN UND SOUL FOOD Sie haben die 18. Filiale in Frankfurt/Main eröffnet. Wann ist man zu groß, um nachhaltig zu arbeiten? Wir haben jetzt eine Größe erreicht, bei der wir uns selbst gefragt haben: Wie wollen wir das Wachstum begrenzen? Ein entscheidender Begriff für uns ist die Beseelung von Wirtschaft. Wir glauben, dass Wirtschaftsunternehmen Organismen sind. Ein Maß für die Größenfindung ist daher immer die Frage: Ist die Organisation so, dass noch Beseelung stattfindet? Gibt es noch Sinn, gibt es Identität? Macht die Arbeit noch Freude und Sinn? Das alles gehört zu unserem nachhaltigen Konzept. Ihr Brot bekommt sehr viel Reifezeit – und dieses Konzept ist über einen langen Zeitraum gereift: gut 40 Jahre. Ja, angefangen habe ich, weil ich die Idee von einer besseren Welt aktiv umsetzen wollte. Ich wollte mit anderen ein Modell errichten: Modell sein, Anstifter sein für eine andere Wirklichkeit. Was derzeit ja sehr gut klappt. Es gibt ein Prinzip, das man in unserer Kultur haben muss: Man muss erfolgreich sein. Heute hören ganz viele auf uns, am Anfang haben sie uns ausgelacht. Jetzt, wo der Erfolg da ist, fangen wir an, die Erträge zu kappen und teilen sie mit Mitarbeitern und Landwirten. Wir setzen demnach auf Kooperation statt Konkurrenz. Teilen ist also das Schlüsselwort für nachhaltiges Wirtschaften? Ja, abgesehen von Klimaneutralität als Ziel – was klar ist – sind Teilen und Kooperieren zwei Schlüsselworte für die Zukunft. Wir müssen mit Hingabe wirtschaften, die Leute einladen, dass man anders lebt. Und einsehen, dass Arbeit ein Kulturgut ist: eine Chance, sich als Mensch weiterzuentwickeln. Mehr Informationen unter: www.biokaiser.de