+3 Magazin August 2020 | Page 22

22 +3 › Franziska Divis, Leserin Nicht lockerlassen Ich beobachte die Digitalisierung in beiden Rollen, als Mutter eines schulpflichtigen Kindes und als Verantwortliche im IT-Vertrieb. Die letzten Monate haben eklatant gezeigt, wo Deutschland noch aufholen muss. Leider stelle ich hier eine Art Lethargie fest, seitdem sich bei den Menschen der „Fast-Normalzustand“ wieder eingestellt hat. Somit rückt die absolut essenzielle Digitalisierung in vielen Bereichen in den Hintergrund. Viele Eltern höre ich immer noch sagen: „Mein Kind ist noch zu jung für ein Notebook, ich möchte das nicht.“ Auf der anderen Seite steht die Lehrerschaft, die sich hoffentlich in den Sommerferien Gedanken über ihre Kompetenzen im digitalen Unterricht gemacht hat. Mir Ihr Name, Leser Was ist Ihre Meinung? Schreiben Sie uns, wie Sie darüber denken – und vielleicht erscheinen Sie dann im nächsten Heft. Frank Mattes, Leser Thorsten Holz, Professor für Systemsicherheit, Ruhr-Universität Bochum Gesundes Misstrauen Der digitale Wandel ist in allen Bereichen unserer Gesellschaft angelangt. Unaufhaltsam durchdringt die Entwicklung ins digitale Zeitalter alle Schichten und Aspekte unserer modernen Gesellschaft. Digitale Sichtbarer Gewinn Ich, noch vor Corona: „Ich installier euch mal beim nächsten Besuch ein Programm, damit wir Videotelefonate führen können.“ Papa und Opa daraufhin unisono: „Nein, sowas brauchen wir nicht und sowas kommt mir nicht ins Haus!“ Wenige Wochen später ruft mein Papa wieder an: „Du, komm doch demnächst mal vorbei. Wir bräuchten mal dieses Videotelefon auf dem Computer, Oma will die Enkel sehen. Kannst du morgen?“ Daraufhin Programm installiert und erklärt, auch Opa sieht jetzt den Nutzen – im wahrsten Sinne des Wortes – und hört beim nächsten Mal wirklich hin, wenn der Enkel mit diesem Internet um die Ecke kommt. Kurzum: Machen und lernen (wollen), dann klappt es auch im Alter noch mit der digitalen Kompetenz. Kompetenzen werden deshalb immer wichtiger. Wir müssen lernen, effektiv mit den neuen digitalen Möglichkeiten umzugehen. Nahezu parallel mit der zunehmenden Digitalisierung, dem Wachstum des Internets und der Vielzahl der dort angebotenen Informationen und Dienstleistungen steigen die Herausforderungen in den Bereichen Datenschutz und Datensicherheit. Der Austausch von persönlichen und wirtschaftlich relevanten Daten ermöglicht es, viele Aktivitäten und Geschäfte in die virtuelle Welt zu verlagern. Dies schafft U m f ra g e u n te r 2 . 0 19 Pe r so n e n a b 14 J a h re n , J u ni - J u l i 20 19 Christine Scholz, Leserin Fake News Künstliche Intelligenz Shitstorm Cloud Elektronische Patientenakte Algorithmus Digitale Gesundheitsdienste Zwei-Faktor-Authentifizierung Bots (Social Bots, Chatbots) Industrie 4.0 Internet der Dinge Blockchain Endstation Zukunft Wir würden als Lehrer gerne mehr digitale Kompetenzen vermitteln, wenn denn die Rahmendaten stimmen. Leider ist unsere Arbeitszeit mit administrativen Aufgaben verstopft, deren Sinn sich nicht immer erschließt. Auch die Dokumentationspflicht frisst Zeit, die für die Schüler verloren geht. Gerade die Corona-Krise hat gezeigt, wie schwierig die Ausgangsbedingungen sind und wie wenig digitaler Unterricht im Schultag angekommen ist. Ein großes Manko war die fehlende Ausstattung der Schüler, Viele Eltern können sich gerade mal ein Smartphone leisten. Auch in den Schulen fehlt eine zeitgemäße digitale Infrastruktur. Der Digitalpakt Schule wird hier sicherlich irgendwann Abhilfe schaffen, aber die schier endlosen Debatten, welche Anwendungen überhaut benutzt werden dürfen, sollten dann endlich beendet sein. 14 17 22 21 29 Raum für Begehrlichkeiten und Manipulationen. Ein wichtiger Aspekt digitaler Kompetenz ist deshalb die IT-Sicherheit: Nur sichere und vertrauenswürdige IT-Prozesse werden nachhaltig den positiven Einsatz der Informationstechnik möglich machen. Um dies zu erreichen, sollte man ein gesundes Misstrauen in digitale Dienste entwickeln. Beispielsweise stellen Fake News und Deepfake-Bilder große Herausforderungen dar. Wir müssen lernen, solche Bedrohungen effektiv zu erkennen und uns nicht davon täuschen zu lassen. blutet das Herz als digitaler Pionier, wenn ich sehe, wie sehr sich Menschen in Deutschland vor dem technischen Fortschritt verschließen. Klappen könnte es, wenn sich Eltern und Bildungseinrichtungen, aber auch Arbeitgeber und Mitarbeiter mit dem Thema Digitalisierung bewusst auseinandersetzen und es als Chance begreifen, die sich ihnen bietet. Wir stehen doch für das Qualitätslabel „Made in Germany“, dann nutzen wir doch bitte die Chance und öffnen uns gegenüber diesen tollen neuen Möglichkeiten, die durch die Digitalisierung in allen Bereichen auf einmal machbar werden. FREMDE WELT Die Bedeutung digitaler Begriffe ist vielen noch unbekannt 43 42 52 58 57 61 % 68 14-29 Jahre: 51% 30-49 Jahre: 64% 50+ Jahre: 47% Berufstätige: 36% Bürojob: 47% % 65 54 Thiemo Fojkar, Vorstandsvorsitzender Internationaler Bund (IB) Teilhabe für alle DIES IST EINE GESPONSERTE ANTWORT, ALSO EINE ANZEIGE 52 48 49 33 38 22 15 13 10 8 % 72 69 64 65 57 54 47 36 30 31 24 20 Quelle: Initiative D21 Ramón Reichert, Kultur- und Medientheoretiker Eine Gesellschaft wird digital Digitale Kompetenz ist heute in aller Munde. Oft wird sie als eine Art Fitnessprogramm bewertet, das der Einzelne für Bildungssysteme, Kapitalmärkte und Technologiesektoren zu absolvieren hat. Digitale Kompetenz kann aber auch als kritisch-kreative Reflexion des digitalen Lebens verstanden werden und firmiert in diesem Sinne als grundlegende Einstellung zur Frage: Wie will ich leben? Digitale Kompetenz kann Chancen der politischen Ermächtigung eröffnen. Sie ebnet den Weg für neue demokratische Beteiligungsverfahren und ermöglicht Initiativen für mehr Bildungsgerechtigkeit und Gendersensibilität. Inzwischen hat sich eine breite Diskussion um den Begriff „Literacy“ etabliert. Er bezeichnet medienreflexive und technologieresiliente Fähigkeiten, die bei der Verwendung von Medien, Technologien und Ressourcen entstehen können. Digital Literacy umfasst neben technisch-praktischen Fertigkeiten auch interpretative und kritische Fähigkeiten der sinnverstehenden Medienrezeption. Befähigt für den digitalen Alltag erkennen Repräsentanten der Digital Literacy rhetorische Verfahren und visuelle Regime von Hate Speech und Cyber-Mobbing. Sie können Fake News gegen den Strich lesen und haben ein Gespür für die Machtasymmetrie von User-Interface und algorithmischer Informationskontrolle. Wer heute digital kompetent sein will, der vereint technologische, soziale und kulturelle Kompetenzen, ist Informatiker, Künstler und Bürger der digitalen Zivilgesellschaft. › Um mehr Bildungsgerechtigkeit zu ermöglichen, muss es auch im Bereich Digitales Lernen eine Entkopplung zwischen dem sozialen Umfeld und dem Bildungserfolg geben. Eine meiner Forderungen lautet daher, dass digitales Lernen nicht vom Elterneinkommen abhängig sein darf. Zunächst ist es notwendig, dass Menschen aus primär bildungsfernen Verhältnissen mit den entsprechenden Endgeräten und Internetzugängen ausgestattet werden. Der Technikaspekt, der beim Digitalpakt Schule im Mittelpunkt steht, muss dringend weitergedacht werden: Die Ausbilderinnen und Ausbilder spielen eine zentrale Rolle, um die Menschen in die Lage zu versetzen, überhaupt mit den Geräten umgehen zu können. Zugleich müssen die Inhalte methodisch-didaktisch ganz anders aufbereitet werden. Problematisch ist es, dass die Fördersummen, die zur Verfügung stehen, bisher kaum abgerufen werden, weil die Hürden zu hoch sind. Die Stichworte lauten hier Entbürokratisierung und mehr Raum für Innovation. Was bei Kindern und Jugendlichen besonders ins Gewicht fällt, gilt für alle: Auch bei Erwachsenen brauchen wir einen Digitalpakt Weiterbildung. Für die Älteren gilt, dass sie durch mehr Digitalisierung länger am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Eins darf aber nicht sein: dass der Digitalisierung alles andere untergeordnet wird. Sie ist nur ein Hilfsmittel. Und: Die Menschen müssen partizipativ mitbestimmen können, wie sie Digitales anwenden.