+3 Magazin August 2020 | Page 4
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WIR FRAGEN:
WIE LEBT MAN
NACHHALTIG?
... und was ist
Ihre Meinung?
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2017 landeten mehr als 15,8 Millionen Tonnen Grünabfälle in
deutschen Kompostieranlagen – und wurden zu 4,2 Millionen
Tonnen Humus.
Quelle: Umweltbundesamt
© iStock./Imgorthand
Claudia Kemfert,
Leiterin Energie, Verkehr,
Umwelt, Deutsches
Institut für Wirtschaftsforschung
(DIW) Berlin
Vision Deutschland
Wir sind im Jahr 2050. Wir praktizieren
eine nachhaltige Effizienz, die
nicht den monetären Profit steigert,
sondern eine soziale und ökologische
Rendite erwirtschaftet. Wir vermeiden
Verschwendung und leben in
einer Welt ohne Abfälle, in der alles
wiederverwertet wird. Statt eines unersättlichen
Konsums, der zu Überfischung,
Vermüllung und Zerstörung
der Erde führt, gehen wir achtsam
mit den eigenen Bedürfnissen, aber
auch mit den verfügbaren Ressourcen
um. Die Energieversorgung wird zu
100 Prozent aus erneuerbaren Energien
sichergestellt. Die Treibhausgase
sind weitestgehend eingedämmt.
Subventionen für fossile oder atomare
Energien sind längst abgeschafft.
Stattdessen wurden deren Folgeschäden
ehrlich eingepreist. Das Energiesystem
funktioniert dezentral, flexibel
und dynamisch. Es gibt jede Menge
regionale Marktplätze, Bürger werden
zu Unternehmern, Konsumenten
sind gleichzeitig Produzenten – als
„Prosumer“ entscheiden wir selbst
über die ökonomische und ökologische
Zukunft unserer Region. Auch
die Arbeit ist vernetzt, dezentral und
flexibel. Wohnen und Arbeiten sind
nicht mehr getrennt, sondern gehen
mehr und mehr zusammen. Die täglichen
Wege legen wir zu Fuß, mit dem
Rad oder dem ÖPNV zurück. Individualfahrzeuge
werden geteilt oder
fahren autonom. Intelligente Technik
verknüpft jegliche Mobilitätsdienstleistungen
klug miteinander. So erreichen
wir jederzeit bequem und
umweltschonend unser Wunschziel.
Ramina Puzicha,
Leserin
Der Schlüssel in dir
Wenn man von Nachhaltigkeit spricht,
denkt man in erster Linie an die Umwelt:
Ich soll weniger Plastik kaufen,
weniger Fleisch essen und den Müll
trennen. All das stimmt auch. Aber
ohne tieferes Verständnis, warum ich
das tue oder wofür, sind diese Maßnahmen
ein bloßes Folgen einer neuen
gesellschaftlichen Norm. Solange
das Verständnis für nachhaltiges Leben
die affektive Komponente nicht
miteinbezieht, ist dieses Verhalten
nicht wirklich nachhaltig. In diesem
Sinne beginnt nachhaltiges Leben mit
dem Hineinsehen und Hinterfragen
der eigentlichen Gründe der eigenen
Wünsche: Welche Gefühle und Bedürfnisse
stecken dahinter? Die zweite
Komponente ist die Empathie, zuerst
sich selbst gegenüber. Wie kann ich
mich aus meinen internen Ressourcen
heraus unterstützen? Dieser Schritt
erfordert emotionale Intelligenz.
Wenn diese Nachhaltigkeit auf der
Mikroebene gegeben ist, folgen weitere
Fragen: Kann ich sie auf meine Beziehungen
übertragen? Kann ich den
Menschen neben mir akzeptieren und
Verständnis für seinen individuellen
Lebensweg mitbringen? Kann ich ihm
das Gute wünschen und es mit meinen
tagtäglichen Handlungen stützen? Auf
diese Weise expandieren sich die Auswirkungen
eines achtsamen Lebens
auf die Makroebene. Nachhaltigkeit
beginnt in einem selbst, mit dem Hineinsehen
und Hinterfragen, mit der
Selbstliebe. Man kann nur das weitergeben,
was man in sich kultiviert hat.
Dafür braucht man nicht unbedingt
externe Ressourcen.