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Wertvolles Gut
Karlheinz Geißler und Jonas Geißler , Zeitforscher
Das Wichtigste vorweg : Der Mensch hat Zeit . Er hat sogar viel Zeit . Denn Tag für Tag kommt neue nach . Und das Schöne ist , man muss nichts dafür tun . Viel tun muss man hingegen , um keine Zeit zu haben . Nein , Zeit haben wir nicht zu wenig , wir haben zu viel zu tun . Demnach heißt die Lösung : Lasst Euch nicht die Zeit , lasst Euch die Arbeit stehlen . Weder Faulheit noch Bequemlichkeit , auch nicht zu viel Freizeit gefährden unsere Zeitzufriedenheit . Es ist das maß- und pausenlose Machen , das immerzu auf dem Sprung sein und das Nie-genug-haben . Sollte diese Gesellschaft
eine Leitkultur besitzen , dann heißt sie : Genug ist nicht genug . „ Schuld “ an all dem ist die mechanische Uhr . Sie hat die Zeit aus ihrer vormals engen Bindung an die Natur gelöst und der Welt das leere , qualitätslose Zeitmuster Takt auf- und den menschenfreundlicheren Rhythmus zurückgedrängt . Bekommen haben wir dafür einen ansehnlichen Geld- , Güter- und Ereigniswohlstand , für den wir den Preis eines wachsenden Zeitnotstandes zahlen . Doch das Zeit-ist-Geld-Diktat greift dort zu kurz , wo es ums Leben und dessen befriedigende zeitliche Gestaltung geht . In der Liebe , in der Erziehung , bei der Bildung , beim Genuss und in der Kultur ist Zeit kein Tausch- , sondern Lebensmittel . Es ginge uns besser , wir lebten gesünder , wären kreativer und zufriedener , wenn wir die Zeit öfters aus ihrer Verzweckung durch das Geld befreiten . Und ihr so ihre Qualitäten wieder zurückgäben .
DIE GRÖSSTEN ZEITFRESSER IM ALLTAG
In diesen Bereichen existiert der Wunsch nach zeitlicher Entlastung , um mehr Freizeit zu haben
Moritz Hammberg , Leser
Im Gleichgewicht
Leider vergeht die schönste Zeit immer wie im Fluge und manche schlimmen Minuten fühlen sich an wie Stunden . Aber zum Glück erinnert man sich an die schönen Zeiten eher als an die der gähnenden Langenweile oder die der Schmerzen . Das gleicht es aus .
Albert Butz , Leser
Aufmerksam im Hier und Jetzt
Nach buddhistischer Sicht ist unser Umgang mit der Zeit unangemessen . Unser Geist ist nicht im Stande , Zeitlosigkeit zu erfassen . Wir führen ein Leben in Raum und Zeit , in einer endlichen , vergänglichen und materiellen Welt . Gleichzeitig sind wir aber in einer Welt zu Hause , die unendlich , ewig und gestaltlos ist .
• Keine Zeit zu haben oder Zeit sparen zu wollen ist Unsinn , denn Einsteins Relativitätstheorie hat bewiesen , dass Raum und Zeit eine Einheit bilden . Anstatt Zeit sparen zu wollen sollten wir uns also auf die Gegenwart konzentrieren und aufmerksam im Hier und Jetzt agieren .
• Unser Zentralnervensystem kann nur innerhalb bestimmter Grenzen Informationen verarbeiten . Aufmerksamkeit kann die Informationsaufnahmegrenzen nicht überschreiten . Die Aufmerksamkeit bestimmt , was im Bewusstsein geschieht oder nicht , und so erschaffen wir unser Selbst .
• Wenn wir das Gefühl haben , dass die eigenen Fähigkeiten ausreichen , eine gegebene Herausforderung zu bewältigen , dann sind wir im „ Flow “. Im Flow-Zustand haben wir unsere psychische Energie unter Kontrolle , das heißt , alles , was wir tun , trägt zu unserem Bewusstsein bei . In diesem Zustand vergessen wir die Zeit und unser Selbst reift . Diesen Glückszustand hat jeder schon erlebt .
Putzen
Arztgänge

52 %

34 % Heimwerken und Gartenarbeit

42 %

Einkauf von

79 % 40 %

Lebensmitteln und Kochen anderen Gütern des täglichen Bedarfs

31 %

Besorgung von Geschenken
Einkauf von
Bekleidung
27 %
Umfrage unter 458 Personen , 2015 ; Anteil in Prozent , Mehrfachnennungen möglich
17 %
Nutzung digitaler Medien via Smartphone , Tablets , Smart TV und dergleichen
19 %
Einkauf von Möbeln
10 % Kinderbetreuung
Quellen : IfH Köln , KPMG , Statista
Konstanze Klein , Leserin
Rares Gut
Es gibt Lebensphasen , da hat Zeit einen ganz besonderen Wert , aber nicht jede Zeit , nicht der ganze Tag . Es gibt vielmehr die Sehnsucht nach einer bestimmten Art von Zeit . Sie heißt „ Zeit für mich “. Sie ist dann besonders rar , wenn man arbeitet , kleine Kinder hat und vielleicht auch noch die Eltern pflegen muss . Verstärkt wird das besonders , wenn man keinen Partner hat , der gleichberechtigt die Kinder übernimmt . Und wenn man ein Typ ist , der es allen recht machen will . Um dann Zeit für sich zu haben , bräuchte man einen Tag mit 48 Stunden . Aber zum Glück ist es auch nur eine Phase im Leben . Wenn die Kinder größer werden , stellt man fest , dass man jeden Tag wieder mehr Zeit für sich hat . Und diese Zeit hat dann viel mehr Wert , als hätte man all das vorher nicht erlebt .
Ariane Wonnersbach , Leserin
Erst nachdem ich viele Jahre weit mehr als 40 Stunden pro Woche gearbeitet habe , ist mir bewusst , wie kostbar private Zeit sein kann . Viele erfolgreiche Ex-Kollegen , die immer noch sehr viel und hart arbeiten , haben sich diese Zeit nicht nehmen können .
Agnes Walter , Leserin
Fit , wenn es darauf ankommt
Ich rechne nicht für jede Stunde mit einem Wert . Das wäre schon ein Problem , weil ich so wahnsinnig gerne lange schlafe . Aber dafür bin ich in der Zeit , die mir sonst am Tag zur Verfügung stehe , immer fit und gutgelaunt und diese Zeit hat dann einen hohen Wert . Und im Gegensatz zu vielen andere hoffe ich nie , sie möge nur schnell vergehen .
Aaron Sober , Leser
Natürlicher „ Feind “
Unsere Zeit ist das wichtigste Gut in unserem Leben . Jeder kennt wohl beide Seiten der Medaille . Der Wecker klingelt und man wünscht sich zehn , zwanzig , vielleicht nur fünf Minuten mehr Zeit , doch der Tag und die Arbeit rufen . Man eilt zur Bahn und auf einmal ist die Zeit wieder knapp . Doch in der Bahn vergeht die Zeit dann sehr langsam . Und wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke , fühlten sich 45 Minuten oft wie zwei volle Stunden an . Wie man es auch dreht und wendet : Die Zeit kann uns anscheinend einfach nicht gerecht werden .
Konstante des menschlichen Lebens
Zeit ist eine physikalische Größe , die den Menschen von Anbeginn an prägt . Nahezu alle Lebewesen besitzen eine innere biologische Uhr , die
Svenja Mikkelsen , Leserin
Hermann Parzinger , Prähistoriker und Präsident Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Wundermittel gegen schlechte Zeiten
Zeit kann unglaublich viel leisten , wenn sie vergeht . Sie kann einen manchmal notwendigen Abstand schaffen . Sie gibt die Möglichkeit , etwas neu zu denken und neu oder – noch verwunderlicher – gar nicht mehr zu fühlen . Das ist für manche Phasen des Lebens sehr wertvoll . Jeder , der schon etwas längere Zeit auf dieser Erde verbracht hat , wird sicherlich der Weisheit zustimmen : Zeit heilt alle Wunden .
nach natürlichen Zyklen verläuft . Die kulturgeschichtliche Entwicklung von einfachen Wildbeutern über komplexe Gesellschaften bis hin zu staatlich organisierten Hochkulturen war begleitet von fortwährenden Versuchen , Zeit zu strukturieren , sei es durch Rituale , festliche Anlässe oder erste Kalendersysteme . Periodisch wiederkehrende Ereignisse , seien sie an den Tagesablauf , an die Jahreszeiten oder etwa an den Moment der Nilschwemme gebunden , förderten schon sehr früh Verständnis und Gefühl für zyklische Zeitabläufe , die das menschliche Leben auch über die innere biologische Uhr hinaus seit jeher entscheidend prägen . Vor Jahrtausenden bereits legte der Mensch gigantische Observatorien an , um den Wechsel der Jahreszeiten genau zu berechnen und vorherzusagen . Systeme , die bei der Zeitmessung periodisch in denselben Zustand zurückkehren , sind dagegen eine spätere Erfindung . Je nach Komplexität einer Gesellschaft erhalten die in einem Kalender festgelegten Zeitrhythmen auch strukturelle Bedeutung für das Gemeinwesen . Zeit gehört zu den anthropologischen Konstanten des Menschen , wird jedoch kulturspezifisch sehr unterschiedlich verstanden : zyklisch-wiederkehrend ebenso wie geradlinig-kontinuierlich .