+3 Magazin April 2022 | Page 20

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Vera Susanne Rotter , Professorin für Kreislaufwirtschaft und Recyclingtechnologie , Technische Universität Berlin
Wertvolle Ressourcen
Viola Wohlgemuth , Kampaignerin Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschutz , Greenpeace
Macht euch endlich ehrlich
Beim Stichwort „ Fast Fashion “ regt sich bei vielen Kundinnen und Kunden das schlechte Gewissen , weil sie an gesundheitsgefährdende Chemikalien und Kinderarbeit denken . Aber das ist nur ein Teil der Geschichte : Dass die Textilindustrie eine Mitschuld an der Klimakrise trägt , rückt gerade erst in den Fokus . Bereits heute ist die Modeindustrie für den drittgrößten Ausstoß von Treibhausgasen aller Lieferketten weltweit verantwortlich . 85 Prozent
In transparenten und nachhaltigen Rohstofflieferketten liegen große Chancen , aber auch Herausforderungen für das Recycling . Neben Treibhausgasemissionen sind hier die Wirkungen auf andere Nachhaltigkeitsziele immer stärker zu berücksichtigen . Viele Recyclingprozesse reduzieren die Umweltbelastung im Verhältnis zur Primärproduktion und ihre Produkte haben schon heute oft Marktvorteile bei steigender Transparenz in der Lieferkette . Dennoch ist zu beachten , dass die Qualität und damit der Nutzen von Recyclingprodukten davon abhängig ist , dass die hochwertige Rezyklierbarkeit am Ende der Nutzungsdauer im Produktdesign bereits angelegt ist . Recycling ist nicht per se „ grün “. Ökologische , soziale und ökonomische Vorteile von Recycling sind nur gegeben , wenn auch die Recycling-Lieferkette nachhaltig ist . Das erfordert zusätzliche ökologische Standards für das Recycling in Deutschland , Europa und weltweit , um die verbundenen Umweltbelastungen nicht in andere Regionen zu exportieren . Insgesamt sehe ich Lieferkettentransparenz
und Produktpolitik mit ambitionierten qualitativen Recyclingzielen als erste Schritte auf dem Weg zu einem nachhaltigen Konsum . Um insgesamt den Stoffumsatz und den damit verbundenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren , braucht es mehr als Recycling : Ohne die Lebensdauerverlängerung durch Reparatur , eine intensivere Produktnutzung durch Sharing und neue Geschäftsmodelle sowie eine neue Suffizienzkultur wird es nicht gehen .
Jean Ziegler , Soziologe , Buchautor und ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung
Die Ketten zerstören
Steffi Lemke , Bundesministerin für Umwelt , Naturschutz , nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
Kostbare Güter
Unser Konsum wirkt sich auf Umwelt und Klima aus . Der durchschnittliche CO 2 -Ausstoß pro Kopf ist in Deutschland deutlich höher als der weltweite Durchschnitt . Und zu hoch für unsere Klimaziele . Die Bundesregierung möchte den Konsumanteil am CO 2 -Fußabdruck bis 2030 halbieren . Ich werbe auch daher für ein neues Verständnis des Umgangs mit Konsumartikeln – und möchte hierzu eine gesellschaftliche Debatte für mehr Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz anstoßen . Ein Beispiel : Handy-Akkus sind oft nicht austauschbar . Verbraucher können oft gar nicht anders ,
Wir leben unter der Weltdiktatur der Oligarchien des globalisierten Finanzkapitals . Wie ich in meiner Kapitalismuskritik schreibe , ist die Frage nach den globalen Lieferketten deshalb entscheidend : Sie sind das Kreislaufsystem , durch das sich das Gift der Globalisierung jeden Tag aufs Neue ausbreiten kann . Es ist ein mörderisches System mit einem einzigen Ziel : der Profitmaximierung in möglichst kurzer Zeit – und zu fast jedem menschlichen Preis . Ein Beispiel : das tägliche Massaker des Hungers . Zehn Konzerne kontrollieren 85 Prozent der weltweit gehandelten Grundnahrungsmittel . Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren . Fast eine Milliarde Menschen ist permanent schwerstens unterernährt . Derselbe World Food Report der FAO , der jährlich diese Opferzahlen herausgibt
, besagt , dass die weltweite Landwirtschaft problemlos zwölf Milliarden Menschen ernähren könnte , wenn der Zugang zu Nahrung nicht von der Kaufkraft der Konsumenten , sondern von einer international legitimierten Norm , nämlich dem Recht auf Nahrung , geregelt wäre . Ein Kind , das heute an Hunger stirbt , wird ermordet . Bei Dostojewski sagt die Romanfigur Iwan Karamasow : „ Jeder von uns ist verantwortlich für alles vor allen .“ Mit unseren täglichen Konsumentscheidungen sorgen wir für das Fortbestehen jener Lieferketten , die diesen Raubtierkapitalismus am Leben erhalten . Wenn wir unsere menschliche Verantwortung wahrnehmen wollen , müssen wir diese Ketten zerstören .
dieser klimaschädlichen Emissionen entstehen in der Produktion . Damit sind Chinas Emissionen zu einem Teil die Emissionen unseres Konsums . So komplex das Problem , so simpel die Lösung . Das nachhaltigste Kleidungsstück ist immer das , was nicht neu hergestellt werden muss . Fast Fashion wird niemals nachhaltig sein , egal wie grün die Label , egal wie bunt die Versprechen von angeblichem Recycling . In der Realität landet jede Sekunde eine Lkw-Ladung Textilien in der Verbrennung oder auf Deponien . Mit 60 neuen Kleidungsstücken
im Jahr in Deutschland ist Kleidung endgültig zu einem Einmal-Wegwerfprodukt geworden . Die Alternativen zum Neukauf , nämlich Teilen , Leihen , Tauschen , Mieten , Secondhand und Reparatur , müssen zum neuen Normal werden . Dazu müssten die tatsächlichen Klimakosten für Neuware ehrlich auf den Kaufpreis aufgeschlagen und die Alternativen steuerlich bevorzugt werden : Erst wenn die klimafreundliche Hose günstiger ist als ihr Fast- Fashion-Pendant , sind wir auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft .
als das Gerät zu entsorgen , wenn der Akku ausgelaugt ist – das ist teuer und schlecht für die Umwelt . Die Bundesregierung will mit einem „ Recht auf Reparatur “ Produkte langlebiger und nachhaltiger machen . Das nützt dem Klima und den Verbrauchern , Ressourcen werden geschont , aber auch der Geldbeutel . Außerdem arbeiten wir daran , Lieferketten nachhaltiger zu machen . Im schön designten Endprodukt stecken oft Rohstoffe , deren Gewinnung Umweltschäden verursacht . Oder die Arbeitsbedingungen bei der Herstellung von Einzelteilen sind problematisch . Anfang 2023 tritt das deutsche Lieferkettengesetz in Kraft . Es soll Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette entgegenwirken , die oft mit Umweltbelastungen einhergehen . Ich setze mich für europäische Regeln ein , die auch den Umweltschutz in die Lieferketten integrieren . Und dafür , dass sich auch die G7-Staaten dazu bekennen .
NADELÖHR IM WELTHANDEL

12 %

des weltweiten Handelsvolumens

18.830

Schiffe
Streckenersparnis der Route aus Asien gegenüber Afrikaumrundung

7.000

Kilometer
Quellen : Xinhuanet , Handelsblatt
DIES IST EINE GESPONSERTE ANTWORT , ALSO EINE ANZEIGE
Marie-Luise Lämmle , Projektleiterin Fairer Handel und Faire Beschaffung kommunal , Engagement Global
Lokal trifft global
Um die globalen Herausforderungen wie Klimawandel oder soziale Ungleichheit anzugehen , brauchen wir die Unterstützung von Kommunen .
Sie haben nicht nur eine Vorbildfunktion für die Zivilgesellschaft , sie sind auch selbst Konsumenten mit einer Marktmacht von circa 350 Milliarden Euro jährlich , etwa wenn es um die Beschaffung von Arbeitskleidung für die Feuerwehr , Computer für die Verwaltung oder Lebensmittel für Schulen geht . Viele dieser Produkte stammen aus dem Globalen Süden und werden oftmals unter Missachtung ökologischer und sozialer Standards hergestellt . Es wäre aber der
falsche Ansatz , diese Länder aus den Lieferketten auszuschließen . Stattdessen sollten sich Kommunen entwicklungspolitisch engagieren , indem sie vor Ort den fairen Handel fördern und ihre eigene Beschaffungspraxis mit entwicklungspolitischen und nachhaltigen Zielsetzungen verknüpfen . Und genau hier setzt unsere Beratung von Kommunen bei Engagement Global mit ihrer Servicestelle Kommunen in der Einen Welt ( SKEW ) an . Finanziert vom Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie einzelnen Bundesländern beraten wir Verwaltungen , schulen und vernetzen Beschaffungsverantwortliche , leisten personelle und finanzielle Unterstützung und begleiten Kommunen bei den ersten Schritten bis hin zur Umsetzung einer fairen Beschaffung . Wir wollen alle Kommunen ermutigen , ihre globale Verantwortung in Sachen Nachhaltigkeit anzunehmen – auf ökologischer , sozialer und ökonomischer Ebene .