+3 Magazin April 2022 | Page 17

KLIMANEUTRAL IN 3 SCHRITTEN

Ausbauziele anpassen , CO 2 bepreisen , Reindustrialisierung

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Es ist deutlicher denn je : Deutschland muss klimaneutral und energetisch unabhängiger werden . Joachim Goldbeck , CEO von GOLDBECK SOLAR und Präsident des Bundesverbandes Solarwirtschaft , ist überzeugt : Agieren wir jetzt schnell und richtig , profitieren die Umwelt , die Wirtschaft und letztlich die Menschen . Wie das funktionieren kann , erklärt er im Interview .
Herr Goldbeck , können wir in Deutschland klimaneutral werden ? Ja , Deutschland kann klimaneutral werden , wenn wir uns wirklich dazu entschließen und bereit sind , unser Verhalten anzupassen . Einer der wichtigsten Hebel dafür ist die Energiewende . Wir wissen jetzt mehr denn je , wie wichtig es ist , die Energiewende schnell umzusetzen . Sie wird uns helfen , Klimaneutralität zu erreichen , die globale Erwärmung zu reduzieren , energieunabhängig zu werden und unsere langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern . Dies ist der Grundpfeiler für Emissionsminderung und letztlich Klimaneutralität . Deshalb konzentriere ich mich auf die Energiewende .
Welches sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Schritte , die unternommen werden müssen , um kurz- und langfristig klimaneutral und unabhängig zu sein ? Zuerst müssen wir die Ausbauziele anpassen . Deutschland braucht wegen der Sektorkopplung – zum Beispiel Elektromobilität und Wärmepumpen – mehr Strom . Der drohenden Stromlücke müssen wir allein bei der Photovoltaik mit einem Zubau von 20 Gigawatt jährlich begegnen . Angrenzende Regelungen wie die Degressionsrate der Vergütungen müssen angepasst , die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden .
An zweiter Stelle steht ein dickeres Brett : eine wirksame CO 2 -Bepreisung . Diese muss zwei Aspekte berücksichtigen : die Abfederung sozialer Härten und CO 2 -Kompensationen . Deutschland und Europa existieren ja glücklicherweise nicht allein auf der Welt . Auf Waren , die in die EU importiert werden , gibt es eine Abgabe . Umgekehrt erhalten exportierende
Hersteller CO 2 -armer Waren eine Rückvergütung . Und wenn sich die EU auf den wissenschaftlich ermittelten 30-Jahre-CO 2 -Preispfad einigt , würde eine Investitionswelle starten .
Mein dritter Punkt ist eine gesunde Reindustrialisierung für strategische Technologien . 95 Prozent der PV-Produkte sowie deren Vorprodukte kommen aus China . Wir müssen signifikante Produktionskapazitäten über den Globus verteilen . Deutschland könnte ein Standort sein . Es gibt bereits Initiativen in diese Richtung , die einen politischen Rahmen benötigen .
Haben wir Alternativen ? Wir haben Ziele und Werte , an denen sich Alternativen messen lassen sollten . Für mich ist eine Welt ohne Klimakollaps ein nicht diskutierbares Basisziel . Schauen wir als Alternativpfad auf die Wiederbelebung der Atomkraft . Diese Technologie ist , wenn man alle Kosten – Projektentwicklung , Versicherungen , Endlager – unsubventioniert betrachtet , um ein Vielfaches teurer als erneuerbare Energien . Auch Geoengineering ist keine echte Alternative . Dabei versucht eine Gruppe von Staaten die Atmosphäre zu beeinflussen , um die Klimaüberhitzung zu reduzieren . Streitigkeiten mit umliegenden Ländern sind programmiert . Zudem wären die Effekte temporär . Diese Alternativen erscheinen mir deutlich unattraktiver als eine auf erneuerbaren Energien beruhende Wirtschaft .
Und die sozialen Aspekte der Klimaneutralität ? Gewohnheiten müssen sich ändern , und zwar bei allen . Ich sehe zwei Gruppen : die allgemein Betroffenen und die konkret Betroffenen . Jeder Bürger ist allgemein betroffen . Wer viel CO 2
generiert , muss mehr bezahlen , wer weniger generiert , weniger . Aber es muss mehr Anreize geben . Zum Beispiel , dass Menschen , die viel einsparen , auch Geld zurückbekommen für ihren Beitrag am Gesamtziel . Ein Teil der CO 2 -Einnahmen kann als sozialer Ausgleich an jede hier lebende Person gezahlt werden , denn alle sind betroffen . Wer CO 2 -sparsam ist , erhält in der Summe etwas zurück , wer nicht , zahlt drauf . Wer den Arbeitsplatz verliert , zum Beispiel in der Braunkohleindustrie , ist konkret betroffen . Diese Arbeitnehmer * innen brauchen Weiterbildungen , berufliche Perspektiven . Die gibt es . Die PV-Branche als Beispiel sucht händeringend nach Fachkräften .
Wie kann die Energiewende gelingen , wenn nur einige wenige Länder dabei sind ? Arbeiten wir dann nicht gegen unsere Interessen ? Sich zurückzulehnen und auf den internationalen Wettbewerb zu verweisen , führt uns in zwei Sackgassen : das Klima kollabiert und wir verlieren technisch den Anschluss . Wir müssen uns der Aufgabe stellen . Gemeinsam . Zunächst müssen die Positionen in der EU – immerhin der weltgrößte Wirtschaftsraum – abgestimmt werden . Die EU-Regelungen müssen so angelegt sein , dass sie andere Länder einladen , mitzumachen . Je größer diese Gruppe , desto attraktiver ist sie für Außenstehende . Internationale Verhandlungen beispielsweise mit den USA haben aus meiner Sicht höchste Priorität . Parallel müssen technische Innovationen gefördert werden . Erneuerbare Energien senken die Kosten , reduzieren die Abhängigkeiten von anderen Ländern , etwa aktuell von Russland , schaffen Arbeitsplätze vor Ort und sind nebenbei klimaneutral . Der Weg ist klar . Jetzt müssen die administrativen Bremsen gelöst und mit Entschlossenheit gehandelt werden .
Joachim Goldbeck , CEO von GOLDBECK SOLAR und Präsident des Bundesverbandes Solarwirtschaft