+3 Magazin April 2022 | Page 12

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Annika Rittmann , Co-Sprecherin Fridays for Future Deutschland
Krisengerechte Politik
Die Klimakrise ist real und das nicht erst seit gestern . Und dennoch werden die notwendigen Maßnahmen ignoriert . Mal sei die 1,5-Grad-Grenze sowieso nicht mehr einzuhalten , mal seien die Maßnahmen nicht umsetzbar . Beide Behauptungen zeigen eines der größten Probleme unserer Klimapolitik : Wir verkennen die Realität . Wir tun so , als könnten wir die Natur ändern , während unsere Gesetze unumstößlich wären . Wir erzählen Märchen von klimafreundlichem Gas und grünem Wachstum . Dabei ist es eigentlich ganz einfach : Wir haben nur noch ein begrenztes Budget an CO 2 , das wir ausstoßen dürfen , und wir müssen alle nur erdenklichen Maßnahmen umsetzen , um dieses Budget einzuhalten . Das geht nur , wenn wir anfangen , ehrlich zu sein . Ein „ Weiter so “ ist schon lange keine Option mehr . Wir wissen , dass es nicht funktionieren kann , unseren Strombedarf weiter in die Höhe zu jagen und so zu tun , als könnte nachhaltige Stromversorgung das kompensieren . Wir können nicht immer mehr Energie nutzen und uns gleichzeitig unabhängig
Peter Renner , Vorstandsvorsitzender Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima
Grenzen überwinden
Deutschland hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt : Bis 2045 will die Bundesrepublik klimaneutral werden und damit auch die bei der letzten Klimakonferenz in Glasgow gemachten Zusagen einhalten . Es ist höchste Zeit , dass wir jetzt Verantwortung für unsere Emissionen übernehmen . Damit setzen wir auch Anreize für die Weiterentwicklung einer klimafreundlichen Wirtschaft . Richtig ist auch , dass der Klimawandel nicht an Grenzen haltmacht . Die Klimakonferenz hat daher alle Staaten zum Handeln aufgerufen . Doch trotz aller Zusagen werden staatliche Maßnahmen nicht annähernd ausreichen , um die Erderwärmung dauerhaft bei 1,5 Grad zu stoppen . Vor allem nationale Alleingänge greifen zu kurz : Die Klimakrise können wir nur weltweit und gemeinsam erfolgreich bewältigen . Dies gelingt , wenn wir die großen natürlichen Lungen der Erde schützen und klimafreundliche Technologien sowie nachhaltige Landwirtschaft auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern fördern . Hier gibt es großes Potenzial und erheblichen Finanzbedarf für Klimaschutzprojekte , die gleichzeitig
von Energieimporten machen . Wir müssen aufhören , so zu tun , als würden kleine Anpassungen im Stromsektor dieser Krise gerecht werden . Diese Rechnung geht einfach nicht auf . Natürlich ist das nicht immer bequem . Aber wer sich einbildet , mal so nebenbei eine der größten Krisen unserer Zeit lösen zu können , ist in der Politik offenbar falsch . Wir müssen raus aus der Komfortzone – unsere Realität bedarf eines Krisenmodus .
Werner Diwald , Vorstandsvorsitzender Deutscher Wasserstoffund Brennstoffzellen- Verband ( DWV )
Weg aus der Sackgasse
Grüner Wasserstoff ist der Schlüssel für eine nachhaltige , wirtschaftliche und versorgungssichere erneuerbare Energieversorgung . Ohne den leicht speicherbaren und transportierbaren Wasserstoff , der mit erneuerbarem Strom erzeugt wird , ist die Klimaneutralität 2045 nicht zu schaffen . Zahlreiche Experten gehen davon aus , dass Deutschland bis 2045 einen Mindestbedarf an grünem Wasserstoff von 700 Terawattstunden im Jahr haben wird . Zu dessen Deckung ist – neben dem Aufbau heimischer Produktionskapazitäten bis 2045 von mindestens 40 Gigawatt – zusätzlich der Import von mindestens 600 Terawattstunden jährlich erforderlich . Die Branchen Verkehr , Chemie und Stahl sind auf grünen Wasserstoff und die daraus produzierten Derivate angewiesen , um die Klimaziele erreichen zu können . Klimaschutz ist aber nur eine von vielen Aufgaben , die vor uns liegen . Das aktuelle Kriegsgeschehen in der U- kraine hat erhebliche Auswirkungen auf den Transformationsweg unserer Energiewirtschaft . Die Energiepreise explodieren und die Sicherheit der Energieversorgung steht infrage . Diese neue Ausgangslage erfordert eine Strategie zur Lösung unserer Energieabhängigkeit von Russland . Der Aufbau einer europäischen Wasserstoffwirtschaft macht die EU ohne Zweifel unabhängiger von autokratischen Staaten . Die Bundesregierung muss aus diesen Gründen handeln und einen investitionssicheren Rahmen für den Hochlauf einer grünen Wasserstoff- Marktwirtschaft schaffen .
die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort verbessern . Dort profitieren auch Bereiche wie Bildung , Gesundheit und der Arbeitsmarkt , die allesamt in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen zusammengefasst sind . Diese Agenda gilt weltweit . Und wir sollten auch Klimaschutz weltweit denken und praktizieren . In Deutschland allein werden wir das Klima nicht retten .
DEUTSCHER STROMMIX 2021
Erneuerbare Energien sind der wichtigste Eckpfeiler der Stromversorgung
Steinkohle 54,3
9,3 %
Braunkohle 108,3
18,5 %
Wasserkraft 19,1
3,3 %
Erneuerbare Energien 236,7
40,5 %
Biomasse (+ EE-Anteil Müll )
50,7
8,7 %
Photovoltaik 49,0
8,4 %
in Milliarden Kilowattstunden ; vorläufige Daten
Dina Barbian , Nachhaltigkeitsökonomin
Total klimaneutral
Gesamt 584,5 Milliarden kWh
Wind ( Offshore ) 24,8
Wind ( Onshore ) 92,9
4,2 %
Quelle : Agentur für Erneuerbare Energien
Gerd Riedner , Leser
15,9 %
Kalte Reserve
Erdgas 89,0
15,2 %
Kernenergie 69,0
11,8 %
Sonstige ( Öl , Pumpspeicher , Müll )
27,2
4,7 %
Geothermie 0,2
> 0 %
Deutschland hat das Jahr 2045 als Ziel , um klimaneutral werden . Dies ist zu spät , denn in den nächsten sieben Jahren wird sich entscheiden , inwiefern das 1,5-Grad-Ziel noch einzuhalten ist . Laut dem Weltklimarat IPCC schließt sich immer mehr das Zeitfenster , in dem effektive Maßnahmen ergriffen werden können . Dabei gibt es viele gute Lösungen , die aber – so scheint es – sowohl in der Bevölkerung als auch bei Unternehmen und der Politik viel zu oft kritisiert werden . Leider stockt im Bereich Energie der Ausbau der Erneuerbaren . Dabei sind Solar- und Windenergie sogar preiswert und Deutschland könnte unabhängig von Energieimporten werden . Auch Geothermie oder eine Wärmerückgewinnung aus Abwasser leistet einen guten Beitrag zur Energieversorgung . Für eine Mobilitätswende muss der Rad- und Fußverkehr im Fokus stehen und geeignete Strukturen , zum Beispiel der Bau von Fernradwegen und die „ 15-Minuten-Stadt “, etabliert werden . Sharing-Konzepte wie Free-Floating-Car-Sharing und der öffentliche Nahverkehr spielen eine zentrale Rolle . Die fleischbasierte Ernährung ist klimaschädlich . Konzepte wie die „ Essbare Stadt “ bieten regionale Lebensmittel für die Stadtbevölkerung . Im Bildungsbereich sollte die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung stärker als bisher in die Lehrpläne aller Schulen , Hochschulen und Universitäten aufgenommen werden . Abfälle müssen Rohstoffe sein . Der Idealzustand ist die Zero- Waste-Stadt , die Stadt ohne Müll .
Unter anderem durch Senken des Warmwasserverbrauchs . Warmwasser sollte im Privathaushalt nur verwendet werden , wenn nötig . Hände kann man auch mit kaltem Wasser waschen , Salat und Gemüse ebenso . Kaltwasser wird im Wasserkocher , ja selbst im Kochtopf meist energieeffizienter erhitzt als in der Zentralheizung . Oft verwendet man in Küche und Bad Warmwasser unbewusst , wenn die Mischbatterie zuvor beim Schließen mittig gestellt wurde . Beim Öffnen wird dann kaltes und warmes Wasser gemischt angefordert . Deshalb sollte man sich angewöhnen , den Wasserhahn einer Mischbatterie beim Schließen auf „ kalt “ zu stellen . Besser wäre noch , die Mischbatterie würde dies selbsttätig erledigen , eventuell nach einer Wartezeit von einigen Sekunden , Die „ Aus “ -Stellung des Hahns wäre dann immer automatisch auf 100 Prozent Kaltwasser . ›