+3 Magazin April 2019 | Page 6

+1 6 › Andreas Löschel, Vorsitzender der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ der Bundesregierung Noch viel zu tun Die Energiewende in Deutschland kommt in etlichen Feldern nicht wie gewünscht voran. Zwar macht der Ausbau der erneuerbaren Energien weitere Fortschritte, diesen stehen jedoch erhebliche Defizite, etwa bei der Steigerung der Energieeffizienz, gegenüber. Die Entwicklungen im Verkehrssektor gehen sogar in die falsche Richtung: CO 2 -Emissionen und Energieverbrauch sind zuletzt angestiegen. Das deutsche Klima- schutzziel für das Jahr 2020 wird deutlich verfehlt und auch das Er- reichen des Ziels für 2030 ist mit der jetzigen Dynamik nicht möglich. Dazu müssten die jährlichen Treib- hausgasemissionen dreimal stärker gesenkt werden als in den letzten zwei Dekaden. Die Bestandsaufnah- me zeigt: Die Energiewende muss Aribert Peters, Stellvertretender Vorsitzender, Bund der Energieverbraucher wieder einen höheren Stellenwert auf der politischen Agenda bekom- men. Es gibt viel zu tun. Die er- neuerbaren Energien müssen rasch weiter ausgebaut und besser in den Strommarkt integriert werden. Es braucht erhebliche Anstrengungen, insbesondere in den Bereichen Ver- kehr und Gebäude. Kohlekommissi- on, Mobilitätskommission, Klima- kabinett – es bewegt sich einiges. Wichtig für den weiteren Erfolg ist nun der richtige Rahmen für die Energiewende. Dazu braucht es eine umfassende Reform der Energie- preise, durch die aufkommensneu- tral bestehende Umlagen und Ab- gaben durch einen CO 2 -bezogenen Zuschlag ersetzt werden. Dies macht erneuerbare Energien wettbewerbs- fähig und ermöglicht den Ersatz von fossilen Energien im Wärme- und Transportbereich. Hört die Signale Effizienz, erneuerbare Energien und Bürgerenergie anstelle von Atom- und Fossilenergie, kurz die Energie- wende: Sie wird von Verbrauchern gefordert. Und auch bezahlt. Aber von der Fossilindustrie hintertrieben, deren Lobby großen Einfluss auf die Politik hat. Mit Unwahrheiten, Aus- lassungen, Bremsen, mit Paragrafen- gestrüpp, Deckeln und Verboten als Folge. Statt den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen, wird er gebremst, Solar- und Windindustrie ins Ausland vertrieben. Verkehrswen- DAS SAGT DAS VOLK Vielen geht die Energiewende zu langsam voran 61% 56% 52% 52% 50% Zu langsam 58% 55% Gerade richtig Zu schnell Weiß nicht Thomas Söllner, Leser Im Panikmodus Die Hoffnung, die in die Energie- wende gesetzt wurde, wandelt sich zunehmend in Ernüchterung. Die Gründe dafür liegen in einer unguten Mischung aus Wunschdenken, poli- tischem Opportunismus und man- gelnder Fachkompetenz. Es verbietet sich eigentlich, ein funktionierendes System außer Betrieb zu nehmen, so- lange kein neues zuverlässiges System existiert. Gesicherte Kraftwerksleis- tung etwa kann nie allein durch eine wetterabhängige Stromerzeugung er- setzt werden. Das Ende für Atom- und Kohlekraftwerke ist beschlossen, ohne dass geklärt wäre, wie ihr Ersatz aus- sehen soll. Setzt man auf zentrale oder dezentrale Erzeugung? Die Aufgabe der Politik wäre es, dafür die Rahmen- bedingungen zu schaffen und sich in der Bevölkerung um die notwendige Akzeptanz zu bemühen. Es geht leider nicht, im Norden die Windkraft aus- Hans-Josef Fell, Präsident Energy Watch Group und ehemaliger Bundestagsabgeordneter, Bündnis 90/Die Grünen Ende vor dem Anfang Das von mir mitentworfene Erneuer- bare-Energien-Gesetz (EEG), im Jahr 2000 unter Rot-Grün verabschiedet, hat der Welt den Schlüssel zu wirksa- mem Klimaschutz gegeben. Die Kli- magasemissionen müssen vollständig gestoppt werden, so wie das auch die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg 30% 6% 3% 2011 33% 7% 4% 2012 35% 10% 34% 12% 4% 3% 2013 2014 33% 10% 5% 2015 33% 8% 4% 2016 8% 2% 2018 Quellen: BDEW, Agora Energiewende, Statista auf dem Weltwirtschaftsforum in Da- vos forderte. Das EEG hat die dafür notwendigen Nullemissionstechno- logien marktreif gemacht. Solar- und Windenergie sind heute günstiger als fossile und atomare Energie. Daher setzen sie sich nun global durch – in China, den USA, Indien, Australien, Lateinamerika. Aber nicht mehr in Deutschland. Mit den EEG-Reformen seit 2010 ist der Ausbau der Erneuer- baren massiv eingebrochen, von rund 40 Milliarden US-Dollar in 2010 auf etwa zehn Milliarden in 2018. In der Solarbranche hat man so etwa 80.000 Jobs vernichtet. Nun wurde mit der Umstellung auf Ausschreibungen auch Franz Alt, Journalist und Buchautor 32% Umfrage unter 1.005 Personen in Deutschland, Anfang 2018; für 2017 wurden keine Daten erhoben zubauen und dann die notwendigen Stromtrassen nach Süddeutschland zu blockieren. Und wer auf dezentrale Erzeugung setzt, muss den Menschen auch erklären, dass dafür überall in der Nähe von Wohn- und Gewerbege- bieten kleine bis mittlere Kraftwerke gebaut werden müssen. Derzeit stellen Atom- und Kohlekraftwerke rund um die Uhr die dafür notwendige gesicher- te Kraftwerksleistung zur Verfügung. Wie das an einem kalten, trüben und windstillen Wintertag künftig funkti- de und Gebäudewende wurden noch nicht ernsthaft begonnen. Die Früch- te des beträchtlichen Verbraucheren- gagements werden uns vorenthalten: Sicherheit und günstige Preise. Der deutliche weltweite Vorsprung wird verschenkt. Wenn uns jetzt Schü- ler vormachen: „Stopp, wir machen nicht mehr mit“, wenn Gerichte die Regierungen zur Vernunft zwingen müssen, dann haben sie recht damit. Wir wissen zu gut, was zu tun ist. Tun wir es gemeinsam, jeder an seinem Platz. Das Klima geht kaputt, die Fos- silvorräte gehen zur Neige – und wir tun so, als könne es so weitergehen, lassen die Politik weiterwursteln. Wir müssen jetzt die Weichen richtig stellen, damit wir möglichst rasch in einer erneuerbaren nachhaltigen Zu- kunft ankommen. Noch ist die Welt zu retten. Wir sollten innehalten, um unsere Verantwortung zu spüren. Kriegen wir die Kurve? Viele mutige Verbraucher, ganze Gemeinschaften und Kommunen sind nicht mehr Teil des Problems, sondern der Lösung. onieren soll, hat noch niemand plausi- bel dargelegt. Daher droht das nächste große Infrastrukturprojekt in Deutsch- land krachend zu scheitern. Ein Neu- start ist darum dringend notwendig. Gerd Eisenbeiß, Leser Nur wenn die Menschheit die Verbren- nung jedes einzelnen Kohlenstoffatoms aus Kohle, Öl und Erdgas teuer macht, kann eine weitgehend klimaneutrale Energiewirtschaft gelingen. das Schrumpfen der Wind- und Bio- energiebranche verordnet. Stattdessen bräuchte es eine neuartige EEG-Ver- gütung für Investitionen, die ganz- jährig lokale 100 Prozent erneuerbare Vollversorgung schaffen. So kommt Versorgungssicherheit dezentral von unten. Hohe Kosten für überregiona- len Netzausbau werden vermieden. Ein Abbau aller Subventionen für Erd- öl, Erdgas und Kohle wird die erneu- erbaren Energien beflügeln, auch bei Heizungen und im Verkehr. Zudem müssen die hohen Genehmigungshür- den für Wind- und Wasserkraft besei- tigt und Forschung und Entwicklung gestärkt werden. Ein bisschen ist nicht genug 2019 produzieren wir in Deutschland bereits 40 Prozent Ökostrom. Das ist etwa achtmal so viel wie im Jahr 2000. Aber bei der Verkehrs-, der Landwirt- schafts- und der Wärmewende haben wir seither kaum Fortschritte erzielt. Deutschland hat keinen Verkehrsmi- nister, sondern lediglich einen Auto- minister. Auch deshalb sind uns Chi- na, Japan, Südkorea, Kalifornien und Frankreich bei der E-Mobilität weit voraus. Selbst in dem vergleichsweise kleinen Land Norwegen fährt inzwi- schen jeder zweite neue Pkw elekt- risch. Aber es kann keine wirkliche Energiewende geben ohne Verkehrs- wende, Landwirtschaftswende und Bauwende. „Unsere Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun“, sagte Gandhi einst. Um die völkerrechtlich verpflichtende Energiewende bis zur Mitte des Jahrhunderts hinzukriegen, muss die Politik das bevorstehende Klimaschutzgesetz so gestalten, dass alles, was neu gebaut wird, auch emis- sionsfrei ist. Ab sofort darf kein Kraft- werk mehr zugelassen werden, das kei- ne erneuerbare Energien benutzt. Ab 2025 dürfen in Deutschland nur noch Elektroautos zusätzlich auf die Straße. Der öffentliche Verkehr muss sich bis 2030 mindestens verdoppeln. Auch in der Landwirtschaft müssen die Emis- sionen bis 2030 um 30 Prozent sin- ken. Rund ein Drittel aller Emissionen hierzulande entstehen in Gebäuden. Deshalb muss der Bauminister endlich den Klimaschutz für sich entdecken. Denn vor allem hier gilt: je später, des- to teurer und komplexer.