+1
6
›
Andreas Löschel,
Vorsitzender der
Expertenkommission
zum Monitoring-Prozess
„Energie der Zukunft“
der Bundesregierung
Noch viel zu tun
Die Energiewende in Deutschland
kommt in etlichen Feldern nicht wie
gewünscht voran. Zwar macht der
Ausbau der erneuerbaren Energien
weitere Fortschritte, diesen stehen
jedoch erhebliche Defizite, etwa bei
der Steigerung der Energieeffizienz,
gegenüber. Die Entwicklungen im
Verkehrssektor gehen sogar in die
falsche Richtung: CO 2 -Emissionen
und Energieverbrauch sind zuletzt
angestiegen. Das deutsche Klima-
schutzziel für das Jahr 2020 wird
deutlich verfehlt und auch das Er-
reichen des Ziels für 2030 ist mit
der jetzigen Dynamik nicht möglich.
Dazu müssten die jährlichen Treib-
hausgasemissionen dreimal stärker
gesenkt werden als in den letzten
zwei Dekaden. Die Bestandsaufnah-
me zeigt: Die Energiewende muss
Aribert Peters,
Stellvertretender
Vorsitzender, Bund der
Energieverbraucher
wieder einen höheren Stellenwert
auf der politischen Agenda bekom-
men. Es gibt viel zu tun. Die er-
neuerbaren Energien müssen rasch
weiter ausgebaut und besser in den
Strommarkt integriert werden. Es
braucht erhebliche Anstrengungen,
insbesondere in den Bereichen Ver-
kehr und Gebäude. Kohlekommissi-
on, Mobilitätskommission, Klima-
kabinett – es bewegt sich einiges.
Wichtig für den weiteren Erfolg ist
nun der richtige Rahmen für die
Energiewende. Dazu braucht es eine
umfassende Reform der Energie-
preise, durch die aufkommensneu-
tral bestehende Umlagen und Ab-
gaben durch einen CO 2 -bezogenen
Zuschlag ersetzt werden. Dies macht
erneuerbare Energien wettbewerbs-
fähig und ermöglicht den Ersatz von
fossilen Energien im Wärme- und
Transportbereich.
Hört die Signale
Effizienz, erneuerbare Energien und
Bürgerenergie anstelle von Atom-
und Fossilenergie, kurz die Energie-
wende: Sie wird von Verbrauchern
gefordert. Und auch bezahlt. Aber
von der Fossilindustrie hintertrieben,
deren Lobby großen Einfluss auf die
Politik hat. Mit Unwahrheiten, Aus-
lassungen, Bremsen, mit Paragrafen-
gestrüpp, Deckeln und Verboten als
Folge. Statt den Ausbau erneuerbarer
Energien zu beschleunigen, wird er
gebremst, Solar- und Windindustrie
ins Ausland vertrieben. Verkehrswen-
DAS SAGT DAS VOLK Vielen geht die Energiewende zu langsam voran
61%
56%
52%
52%
50%
Zu langsam
58%
55%
Gerade richtig
Zu schnell
Weiß nicht
Thomas Söllner, Leser
Im Panikmodus
Die Hoffnung, die in die Energie-
wende gesetzt wurde, wandelt sich
zunehmend in Ernüchterung. Die
Gründe dafür liegen in einer unguten
Mischung aus Wunschdenken, poli-
tischem Opportunismus und man-
gelnder Fachkompetenz. Es verbietet
sich eigentlich, ein funktionierendes
System außer Betrieb zu nehmen, so-
lange kein neues zuverlässiges System
existiert. Gesicherte Kraftwerksleis-
tung etwa kann nie allein durch eine
wetterabhängige Stromerzeugung er-
setzt werden. Das Ende für Atom- und
Kohlekraftwerke ist beschlossen, ohne
dass geklärt wäre, wie ihr Ersatz aus-
sehen soll. Setzt man auf zentrale oder
dezentrale Erzeugung? Die Aufgabe
der Politik wäre es, dafür die Rahmen-
bedingungen zu schaffen und sich in
der Bevölkerung um die notwendige
Akzeptanz zu bemühen. Es geht leider
nicht, im Norden die Windkraft aus-
Hans-Josef Fell,
Präsident Energy Watch
Group und ehemaliger
Bundestagsabgeordneter,
Bündnis 90/Die Grünen
Ende vor dem Anfang
Das von mir mitentworfene Erneuer-
bare-Energien-Gesetz (EEG), im Jahr
2000 unter Rot-Grün verabschiedet,
hat der Welt den Schlüssel zu wirksa-
mem Klimaschutz gegeben. Die Kli-
magasemissionen müssen vollständig
gestoppt werden, so wie das auch die
junge Klimaaktivistin Greta Thunberg
30%
6%
3%
2011
33%
7%
4%
2012
35%
10%
34%
12%
4%
3%
2013
2014
33%
10%
5%
2015
33%
8%
4%
2016
8%
2%
2018
Quellen: BDEW, Agora Energiewende, Statista
auf dem Weltwirtschaftsforum in Da-
vos forderte. Das EEG hat die dafür
notwendigen
Nullemissionstechno-
logien marktreif gemacht. Solar- und
Windenergie sind heute günstiger als
fossile und atomare Energie. Daher
setzen sie sich nun global durch – in
China, den USA, Indien, Australien,
Lateinamerika. Aber nicht mehr in
Deutschland. Mit den EEG-Reformen
seit 2010 ist der Ausbau der Erneuer-
baren massiv eingebrochen, von rund
40 Milliarden US-Dollar in 2010 auf
etwa zehn Milliarden in 2018. In der
Solarbranche hat man so etwa 80.000
Jobs vernichtet. Nun wurde mit der
Umstellung auf Ausschreibungen auch
Franz Alt,
Journalist und Buchautor
32%
Umfrage unter 1.005 Personen in Deutschland, Anfang 2018; für 2017 wurden keine Daten erhoben
zubauen und dann die notwendigen
Stromtrassen nach Süddeutschland
zu blockieren. Und wer auf dezentrale
Erzeugung setzt, muss den Menschen
auch erklären, dass dafür überall in
der Nähe von Wohn- und Gewerbege-
bieten kleine bis mittlere Kraftwerke
gebaut werden müssen. Derzeit stellen
Atom- und Kohlekraftwerke rund um
die Uhr die dafür notwendige gesicher-
te Kraftwerksleistung zur Verfügung.
Wie das an einem kalten, trüben und
windstillen Wintertag künftig funkti-
de und Gebäudewende wurden noch
nicht ernsthaft begonnen. Die Früch-
te des beträchtlichen Verbraucheren-
gagements werden uns vorenthalten:
Sicherheit und günstige Preise. Der
deutliche weltweite Vorsprung wird
verschenkt. Wenn uns jetzt Schü-
ler vormachen: „Stopp, wir machen
nicht mehr mit“, wenn Gerichte die
Regierungen zur Vernunft zwingen
müssen, dann haben sie recht damit.
Wir wissen zu gut, was zu tun ist. Tun
wir es gemeinsam, jeder an seinem
Platz. Das Klima geht kaputt, die Fos-
silvorräte gehen zur Neige – und wir
tun so, als könne es so weitergehen,
lassen die Politik weiterwursteln.
Wir müssen jetzt die Weichen richtig
stellen, damit wir möglichst rasch in
einer erneuerbaren nachhaltigen Zu-
kunft ankommen. Noch ist die Welt
zu retten. Wir sollten innehalten, um
unsere Verantwortung zu spüren.
Kriegen wir die Kurve? Viele mutige
Verbraucher, ganze Gemeinschaften
und Kommunen sind nicht mehr Teil
des Problems, sondern der Lösung.
onieren soll, hat noch niemand plausi-
bel dargelegt. Daher droht das nächste
große Infrastrukturprojekt in Deutsch-
land krachend zu scheitern. Ein Neu-
start ist darum dringend notwendig.
Gerd Eisenbeiß, Leser
Nur wenn die Menschheit die Verbren-
nung jedes einzelnen Kohlenstoffatoms
aus Kohle, Öl und Erdgas teuer macht,
kann eine weitgehend klimaneutrale
Energiewirtschaft gelingen.
das Schrumpfen der Wind- und Bio-
energiebranche verordnet. Stattdessen
bräuchte es eine neuartige EEG-Ver-
gütung für Investitionen, die ganz-
jährig lokale 100 Prozent erneuerbare
Vollversorgung schaffen. So kommt
Versorgungssicherheit dezentral von
unten. Hohe Kosten für überregiona-
len Netzausbau werden vermieden.
Ein Abbau aller Subventionen für Erd-
öl, Erdgas und Kohle wird die erneu-
erbaren Energien beflügeln, auch bei
Heizungen und im Verkehr. Zudem
müssen die hohen Genehmigungshür-
den für Wind- und Wasserkraft besei-
tigt und Forschung und Entwicklung
gestärkt werden.
Ein bisschen ist
nicht genug
2019 produzieren wir in Deutschland
bereits 40 Prozent Ökostrom. Das ist
etwa achtmal so viel wie im Jahr 2000.
Aber bei der Verkehrs-, der Landwirt-
schafts- und der Wärmewende haben
wir seither kaum Fortschritte erzielt.
Deutschland hat keinen Verkehrsmi-
nister, sondern lediglich einen Auto-
minister. Auch deshalb sind uns Chi-
na, Japan, Südkorea, Kalifornien und
Frankreich bei der E-Mobilität weit
voraus. Selbst in dem vergleichsweise
kleinen Land Norwegen fährt inzwi-
schen jeder zweite neue Pkw elekt-
risch. Aber es kann keine wirkliche
Energiewende geben ohne Verkehrs-
wende, Landwirtschaftswende und
Bauwende. „Unsere Zukunft hängt
davon ab, was wir heute tun“, sagte
Gandhi einst. Um die völkerrechtlich
verpflichtende Energiewende bis zur
Mitte des Jahrhunderts hinzukriegen,
muss die Politik das bevorstehende
Klimaschutzgesetz so gestalten, dass
alles, was neu gebaut wird, auch emis-
sionsfrei ist. Ab sofort darf kein Kraft-
werk mehr zugelassen werden, das kei-
ne erneuerbare Energien benutzt. Ab
2025 dürfen in Deutschland nur noch
Elektroautos zusätzlich auf die Straße.
Der öffentliche Verkehr muss sich bis
2030 mindestens verdoppeln. Auch in
der Landwirtschaft müssen die Emis-
sionen bis 2030 um 30 Prozent sin-
ken. Rund ein Drittel aller Emissionen
hierzulande entstehen in Gebäuden.
Deshalb muss der Bauminister endlich
den Klimaschutz für sich entdecken.
Denn vor allem hier gilt: je später, des-
to teurer und komplexer.