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LEBENSWANDEL Darauf verzichten wir für hochwertige Lebensmittel
Rauchen Ausgehen
58% 46%
Hund Urlaub
40% 27%
Auto Haus
20% 18%
Sport Kein Verzicht
17% 16%
Quellen: Kaufland, Statista
Stevan Paul,
Foodjournalist und
Kochbuchautor
Jünger des Zeitgeists
Im Strudel von kulinarischen Trends,
TV-Kochshows und einem ewigen
Strom hochgejazzter Food-Foto-Bild-
welten in den sozialen Medien begin-
nen wir, uns von einer gewachsenen
und lebendigen Esskultur zu entfer-
nen. Immer öfter bedeutet Essen ein-
fach Pop. Ernährung ist zum Mittel
der Selbstdarstellung, der vermeint-
lichen Selbstoptimierung geworden.
Essen als Religion und Glaubensbe-
kenntnis. Wir kennen uns aus mit
Superfoods und Sous-vide-Garmetho-
den, kaufen teure Küchenmaschinen
Wolfgang Loggen, Leser
Mit allen Sinnen
genießen
Kultur kommt von „cultura“, was so
viel wie „Pflege“ oder „Bearbeitung“
bedeutet. So steckt in jedem Essen
nur die Kultur, die ihm gegeben
wird. Meine Formen der Bearbei-
tung, der Zubereitung, der Aufnah-
me eines guten Essens sind: beim
Kauf Massentierhaltung und Über-
fischung der Meere nicht zu unter-
stützen und ein Stück Fleisch oder
Fisch stets als ein Stück Natur bezie-
hungsweise Leben zu sehen, ökologi-
schen Landbau zu fördern, auf Fer-
tigprodukte möglichst zu verzichten
und auf ein unnötiges Überangebot
nicht zu reagieren. Ich brauche zum
und die zugehörigen Rezepthefte, die
uns den Nutzen erklären – aber kaum
jemand versteht sich noch auf die Zu-
bereitung einer guten Kartoffelsuppe.
Wir verlernen das Kochen und die
Fähigkeit, Kochen auch zu verstehen.
„Ohne ist das neue Mit“, heißt es da-
rüber hinaus – bis nichts mehr übrig-
bleibt außer lustfeindlicher Verzicht,
Verbot und Selbstkasteiung. Wir fol-
gen zeitgeistigen Trends und Mar-
ketingversprechen, statt individuell
für uns selbst zu sorgen, statt endlich
wieder zu kochen – und zu genießen
–, was uns guttut. Es geht mir dabei
nicht um einen Konservatismus um
jeden Preis, sondern um die Belebung
und Weiterentwicklung unserer ge-
wachsenen Koch- und Genusskultur
– auf der Basis von Handwerk und
Wissen, nicht als popkulturelle Nische
oder Distinktionsmerkmal.
Beispiel in meiner Küche keine zehn
verschiedenen Salzsorten. Für mich
isst, einem alten Sprichwort folgend,
das Auge immer mit. Entsprechend
einladend ist mein Tisch gedeckt.
Ich versuche meinen Gästen zu zei-
gen, dass ich mich um ein gutes Es-
sen bemüht habe, ohne dass es Mühe
war, sondern letztlich ein mich be-
friedigendes Geschenk. Gutes Essen
schlägt sich vom Gaumen auf die
Stimmung bei Tisch nieder und führt
zu entspannten Gesprächen. Wenn
dann Wein für zusätzliche Gaumen-
freuden sorgt, habe ich eine der äl-
testen Kulturen mit auf den Tisch
gebracht. Essen wird nicht zum rei-
nen Sättigungsakt und artet nicht in
Gefräßigkeit aus. Zu guter Letzt: Ich
versuche, (fast) keine übriggebliebe-
nen Lebensmittel wegzuschmeißen.
Guten Appetit!
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Ursula Hudson,
Vorsitzende Slow Food
Deutschland
Kultur und Landschaft
schmecken
Essen ist nicht nur der größte Bezie-
hungsstifter, sondern auch ein wich-
tiger Kulturvermittler. Lebensmit-
telerzeugung hat mit dem Aussehen
unserer Kulturlandschaften zu tun,
Rezepturen und Zubereitungen ge-
hören zu unserem kulturellen Erbe.
Mit der Vielfalt auf unseren Tellern
schützen wir also nicht nur unsere
Umwelt und unser Klima, sondern
wir bewahren damit auch die wun-
derbare weltweite kulinarische Di-
versität und unsere Identität. Die
Kartoffel, der Apfel oder die Zwiebel
aus kleinbäuerlicher Landwirtschaft
vom Bodensee schmecken anders als
ihre Pendants aus Norddeutschland.
In ihnen entfaltet sich der regional-
typische Geschmack von Sorte, Bo-
den und Klima. Bei tierischen Pro-
dukten wirken sich neben Rasse und
Haltungsform auch die regionalen
Futtermittel auf den Geschmack aus:
Die Milche von Kühen, die sich von
Alpweide, Silage oder Kraftfutter
ernährt haben, schmecken unter-
schiedlich. Neben den spezifischen
Produktionsbedingungen verleihen
das Wissen und das Können von
Lebensmittelhandwerkern unserer
Nahrung ihren individuellen Ge-
schmack. Deshalb macht sich Slow
Food für den Erhalt dieses Hand-
werks stark und möchte Menschen
wieder für lokaltypische Obst-, Reb-
und Gemüsesorten sowie Tierrassen
begeistern. Mit Projekten wie der
„Arche des Geschmacks“ schützen
wir alte Sorten und Rassen, die von
unseren Speiseplänen zu verschwin-
den drohen.
Monika Rohs-Dressel, Leserin
Schein oder Sein?
Ein spannendes Spiel in der Schlange
an der Supermarktkasse: aus dem In-
halt des Einkaufswagens der anderen
auf Essverhalten, Lebenssituation und
Persönlichkeit schließen. Was es da
wohl am Wochenende zu Essen gibt?
Rotkohl und Fleisch – eher konserva-
tiv und älter. Bio-Tofu, Smoothie und
eingeschweißte Rote Beete – eher jung
und öko. Viele Süßigkeiten und Corn-
flakes – Kinder und die Eltern beide
voll berufstätig. Haben sie gesunde Er-
nährung schon aufgegeben? Oder ist
alles ganz anders? Und was ist aus dem
Inhalt meines Einkaufswagens zu er-
kennen? Möchte ich, dass sich andere
darüber Gedanken machen?
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