+3 Magazin April 2016 | Page 12
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Timm Kehler,
Vorstand Initiative
Zukunft ERDGAS
Möglich wäre es
Die Energiewende hat zwei Gewinner:
Erneuerbare – das ist gewollt und gut
fürs Klima. Und Kohle, deren Anteil
an der Stromerzeugung nicht zurückgeht. Dementsprechend verbessert
sich die Klimabilanz des deutschen
Stroms seit Jahren nicht. Wenn die
Jochen Wormer, Leser
Erst durch Fukushima wurde der Ausstieg aus der Atomenergie ernsthaft
Teil der Energiewende. Vielsagend.
Bundesregierung die gesteckten Ziele
wirklich erreichen will, brauchen
Wind- und Sonnenenergie mehr flankierende Klimaschutztechnologien als
bisher – und einen dafür unverzichtbaren Partner: Erdgas. Erdgas ist nicht
nur der sauberste ausreichend verfügbare Energieträger – bei Verbrennung setzt er 50 Prozent weniger CO2
frei als Braunkohle – es ermöglicht
auch viele innovative Technologien,
die den Energiemarkt bereits heute
in vielen Bereichen revolutionieren.
Dank der Power-to-Gas-Technologie
kann überschüssiger Ökostrom im
Erdgasnetz gespeichert werden. Die
Infrastruktur ist vorhanden und muss
Lars Frachter, Leser
nicht kostenintensiv aufgebaut werden. Künstliches Erdgas wird so das
Transportmedium für die Erneuerbaren – regenerativ und CO2-neutral. Ein
anderes Beispiel: die Brennstoffzellenheizung mit Erdgas. Direkt im Hauskeller erzeugt sie Wärme und Strom.
Die CO2-Emissionen lassen sich im
Vergleich zur konventionellen Stromund Wärmeerzeugung erheblich senken. Zukünftige Hocheffizienzhäuser
können so sicher mit Energie versorgt
werden. Es ist höchste Zeit zu fragen,
ob wir den Weg der Energiewende
nicht stärker in Richtung Klimaschutz
lenken müssen. Und Erdgas sollte dabei eine wichtige Rolle spielen.
Bruttostromerzeugung nach energieträgern
in Milliarden kWh
350
Kohle
Ottmar Edenhofer,
Chef-Ökonom des
Potsdam-Instituts für
Klimafolgenforschung
(PIK)
300
273,8
250
Nur globale Lösungen
helfen weiter
Für die Stabilisierung unseres Klimas nützt die deutsche Energiewende wenig. Zwar hat sie den Anteil der
erneuerbaren Energien erhöht; auch
hat dies zu beträchtlichen Kostensenkungen bei Windenergie und Photovoltaik geführt. Aber sie hat nicht
in gleichem Maße den Ausstoß von
Treibhausgasen heruntergefahren.
Fakt ist: Wir verfeuern weiter zu viel
Kohle. Zudem sind die Verschmutzungsrechte europaweit gedeckelt;
reduziert ein Land sein CO2, sinkt im
Emissionshandel der Preis und ein
anderes Land kann mehr ausstoßen.
Nötig wäre daher ein Mindestpreis
im EU-Emissionshandel.
Aber Europa kann das Klima nicht
ohne die USA und China schützen.
Deshalb müssten die großen Volkswirtschaften der G20 – die 76 Prozent
der Emissionen repräsentieren – über
koordinierte CO2-Preise reden. Anders
als bei den letztes Jahr für den Klimagipfel von Paris vorgelegten Emissionsreduktionsplänen wären Preise
transparent und gut vergleichbar. Und
sie würden dringend benötigte Staatseinnahmen generieren. Transferzahlungen an ärmere Länder könnten
deren Kooperation sichern und einen
Lastenausgleich schaffen. Diese CO2Preise würden dazu beitragen, dass
sich die erneuerbaren Energien am
Markt durchsetzen. Nationale Alleingänge wie die deutsche Energiewende
haben symbolische Bedeutung; das
ist auch relevant. Nach dem Klimaabkommen von Paris kommt es jetzt darauf an, dass die Staatengemeinschaft
einen Einstieg in eine effektive Klimapolitik findet.
200
194,1
Kernenergie
150
100
50
91,5
Erneuerbare
Energien
0
1990
1995
2000
2005
2010
2015
2015: vorläufiges Ergebnis. Quelle: AGEE-Stat und AGEB. © Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2016
›
Ich sehe den Sinn in der Energiewende. Aber ob es nachhaltig ist, jetzt ein
Haus zu sanieren, wenn in ein paar
Jahren wieder neue Baustoffe auf
dem Markt sind, die besser isolieren?
Matthias Krümmel,
Koordinator Berliner
Energie- und Abfallcheck,
Bund für Umwelt und
Naturschutz Deutschland
(BUND)
Summe der Einzelteile
Die Energiewende ist in den Haushalten unterschiedlich angekommen.
Bürger und Bauern stemmen zwar
hierzulande die Versorgung mit erneuerbaren Energien – dies wird
beim Großstädter aber selten wahrgenommen. Die Nachhaltigkeit der
Konsumenten ist vor allem ein Wahrnehmungsphänomen. Man sieht nur,
was man weiß. Selbst Ökostromkunden vertrauen gerne vollmundigen
Überschriften, anstatt sich nach den
Anforderungen der Umweltverbände zu richten. Schlussendlich sind es
immer noch die großen fossilen und
nuklearen Player, die den Markt beherrschen. Ich kann es beinahe täglich an den Haushalten sehen, die wir
besuchen: Nachhaltigkeit ist mehr
eine Einstellungssache als eine Frage des billigen Stromanbieters. Wer
viel heizt, verbraucht oft auch mehr
Strom und Wasser, trennt den Müll
schlechter und baut „Nachhaltigkeit“
weniger in den persönlichen Lebensstil ein. Vor allem diese alltagskulturelle Komponente wird gerne übersehen: Wir sollten anfangen, den
Privathaushalt als Ort der Energiewende zu definieren. Wir kommen
tagtäglich zu solchen Alltagsfragen
ins Gespräch. Und wir finden hohe
Einsparpotenziale, bedenkliche Verhaltensweisen, gute Ansätze und viele Nachlässigkeiten. Dass Kleinvieh
auch „Mist“ macht, bedeutet für uns
Z uhause-Berater, die kleinen Schritte zu unterstützen: vom häuslichen
Energiesparen bis zum Repair-Café
im eigenen Stadtviertel. Alles zählt.
Dann ist die „kulturelle“ Energiewende irgendwann auch nachhaltig.
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Jürgen Pöschk,
Initiator der Berliner
Energietage
Wen interessiert eigentlich die Energiewende?
Diese ketzerisch formulierte Frage lässt
die Dimension einer nachhaltigen Energiewende erahnen. Sie deutet aber auch
an, dass es noch lange keinen tragfähigen Konsens über das „Gemeinwohlziel Klimaschutz“ gibt. Im Gegenteil;
so sind im letzten Jahr – bei sinkenden
Spritpreisen – die Zulassungszahlen für
SUVs um über 30 Prozent gestiegen!
Dies symbolisiert nicht nur Ignoranz,
sondern verdeutlicht auch die Preissensibilität klimarelevanten Verhaltens in
Deutschland.
Defizite in der Nachhaltigkeit bestehen
aber nicht nur im privaten Konsum:
Im Bereich öffentlicher Liegenschaften
und des öffentlichen Wohnungsbaus
ist die Energiewende bislang kaum angekommen. Auf der anderen Seite haben wir historisch niedrige Zinsen und
hohe Steuereinnahmen. Wenn nicht
jetzt, wann dann sollten Schulen und
Rathäuser auf einen klimaneutralen
Standard gebracht werden. Wenn hier
heute fehlinvestiert wird, muss dies in
absehbarer Zeit teuer saniert werden.
Daneben bedarf es einer Diskussion
über die Frage, ob die aktuell niedrigen
Preise für fossile Energieträger stärker
als Steuerungsinstrument der Energiewende genutzt werden sollten. Warum
nicht jetzt zielgerichtete Lenkungsabgaben einführen, mit denen sich
Projekte im Bereich der energetischen
Gebäudesanierung finanzieren ließen?
Energieträgerimporte durch technische
und handwerkliche Intelligenz ersetzen! Das wäre kein schlechter Ansatz
für die Energiewende im rohstoffarmen
Deutschland.